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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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hatte.
    Die Sekunden dehnten sich endlos. Die Erde unter ihm war hartgefroren, aber Franz von Werra spürte die Kälte nicht. Sein Herz hämmerte so laut, daß er fürchtete, die Menschen da vor ihm müßten es schlagen hören.
    Aber die hörten und sahen nichts von ihm. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt offenbar dem Chorgesang von jenseits des Stacheldrahts: ›Muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus …‹ Wenn sie doch bloß aufhören wollten zu singen! Vielleicht würden dann diese verdammten Musikfreunde ihren nächtlichen Besuch am Stacheldraht beenden. Aber nein, sie hörten mit der letzten Strophe auf und begannen unverzüglich wieder mit der ersten.
    Endlich schienen sie Schluß machen zu wollen. Die Zivilisten am Stacheldraht sprachen halblaut. Der Posten auf dem Turm mußte sie hören können, besonders die eine quäkende Frauenstimme, aber wahrscheinlich kannte er die Leute, die von der nahen Farm zu kommen schienen, und drückte deshalb ein Auge zu.
    Ein an- und abschwellendes Gemurmel aus dem Gartenhaus verriet, daß jetzt Leutnant Beins ›Abendspruch‹ an der Reihe war. Der Stukaflieger war ein ehrgeiziger Chorleiter geworden. Nach jeder Gesangstunde übte er den Text eines neuen Liedes. Erst sprach er ihn vor, dann wiederholten die Sänger ihn im Chor. Die drei Engländer schienen das langweilig zu finden. Sie traten sich ein paar Mal die Beine warm – plötzlich zündete einer ein Streichholz an …
    Werra hielt den Atem an. »Heeij! Licht aus!« scholl es vom Turm.
    »Komm, rauch deine Pfeife zu Hause!« sagte die quäkende Frauenstimme, dann wandten sie sich ab und gingen davon. Eine Weile hörte Werra noch das Geräusch der genagelten Stiefel auf dem hartgefrorenen Weg, dann Schweigen. Irgendwo fiel eine Tür ins Schloß. Sie hatten ihn nicht entdeckt.
    Er hob den Kopf. Die Luft war rein. Wie ein grauer Schatten huschte er über den Weg, ein Stück in dem trockenen Graben entlang, dann über den Acker in Richtung auf den Schuppen. Erst jetzt merkte er, wie saukalt es war. Und das nasse Unterzeug klebte ihm am Körper.
    Kurz darauf glitt eine Gestalt aus der Dunkelheit heran, wurde einen Augenblick später sichtbar und verschmolz wieder mit der dunklen Masse des Schuppens. Es war Hauptmann Cramer.
    »Sind Sie da, Werra?« flüsterte er.
    »Hier, Herr Hauptmann!«
    »Mensch, da haben wir aber Schwein gehabt!«
    »Ich dachte schon, Herr Hauptmann rennen direkt in die Leute rein.«
    »Nee, so schnell bin ich noch nie in den Keller gegangen wie in dem Augenblick, als ich die Figuren auf dem Weg sah. Als ich dann das Weib quaken hörte, dachte ich, sollte der Werra da eine angequatscht haben? Sie werden doch bei jeder Flucht von Damen erwartet, hab ich mir sagen lassen. Ist ja auch die reinste Brautnacht heute, kalt und trocken!«
    »Wo ist Manhart?«
    »Da kommt er. Hören Sie ihn nicht?«
    Leises, taktfestes Quietschen näherte sich hinter der Hecke.
    »Der verdammte Koffer«, sagte von Werra. »Wenn er wenigstens den Griff vorher geölt hätte.«
    »Na, ist jetzt auch überstanden. Wo er jetzt wandert, da darf der Griff ruhig ein bißchen quietschen. Fällt nicht mehr auf. Da kommt er endlich.«
    Walter Manhart erschien, den Koffer in der Hand, wie ein Wanderer zwischen Tag und Traum.
    »Hallo, Walter!« begrüßte ihn Werra halblaut. »Wo willst du denn hin?«
    »Nach Berlin!« sang der fröhliche Wanderer. »Das heißt, zuerst …«
    »Leise, du Idiot. Wir sind hier nicht allein!«
    »Stimmt, bitte gehorsamst um Verzeihung«, sagte Manhart leiser, und dann gingen sie um den Schuppen herum und rauchten eine letzte Zigarette. In der Ferne spielten die Flakscheinwerfer, weit im Westen brummten am Himmel die Motoren deutscher Bomber.
    »Wird spät«, sagte Cramer und trat seine Zigarette aus. »Besser, wir verduften!« Sie halfen sich gegenseitig, ihre Pyjamas auszuziehen, rollten sie zusammen und schoben sie unter eine Hecke. »War 'ne gute Idee«, meinte Cramer zufrieden, »so haben wir wenigstens unsere Kluft im Tunnel nicht ganz versaut.« Er reckte die Schultern wie ein Boxer. »Jetzt kann's losgehen, sonst kriegen wir keinen Bus mehr! One for Nottingham. Tschüß, Werra!«
    »Auf Wiedersehen, Herr Hauptmann! – in Deutschland!«
    Cramer und Werra schüttelten sich die Hände. Manhart hob seinen Handkoffer auf und stand etwas unbeholfen da. Sie hatten eine verdammte Zeit miteinander durchgestanden, Werra und er … Franz von Werra streckte die Hand aus.
    »Mach's gut, Walter! Viel

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