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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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Zweigespann Wilhelm und Wagner hatte Auftrag, eine halbe Stunde verstreichen zu lassen, um den Posten zu beruhigen, falls der etwa mißtrauisch geworden war. Dann sollten auch sie folgen und die drei anderen bei einer Scheune treffen.
    »Mach's gut, Franzi!« Hände klopften Werra auf den Rücken, streckten sich ihm entgegen, halfen ihm in den Pyjama, den er zum Schutz seiner Kombination überstreifte. »Grüß die Linden!« – »Sag den Fünfundachtzigern, sie sollen sich ein bißchen beeilen!« – »Hast du nichts vergessen?«
    Er hatte nichts vergessen. Die Erkennungsmarke hing an einer Schnur um seinen Hals (später sollte er bereuen, daß er sie nicht in der Tasche getragen hatte); seine Zigaretten, Streichhölzer, die neueste Nummer der ›Times‹ – alles. Es war 20.15 Uhr, als er zum letztenmal durch den Tunnel nach vorne kroch. Er passierte die Stelle, an der Manhart beinahe erstickt wäre, und gelangte zu dem Punkt, wo er durchbrechen mußte. Die Arbeit an dem gefrorenen Boden fiel ihm schwer. Bisher hatte er immer fast nackt gearbeitet. Jetzt war er voll bekleidet. Er schwitzte vor Anstrengung.
    »Geht es?« fragte der Mann hinter ihm.
    »Bin gleich durch«, murmelte er und stieß die Schaufel in die Decke. Endlich war das Loch groß genug, er hörte, wie der andere zurückkroch, um das Signal zu geben: »Bahn frei!«
    Einige Minuten ruhte er sich aus, um Atem zu schöpfen. Er hatte den Kopf hinausgesteckt und spähte nach allen Seiten.
    Im Süden versuchten Scheinwerfer offenbar vergeblich, die Wolkendecke zu durchdringen. Sonst war alles seltsam ruhig. Kein Geschützfeuer, keine Flugzeuge – und ein scheußliches Gefühl – kein Gesang!
    Was zum Teufel war im Lager los? Was dachten sich die anderen? In der großen Stille, die ihn umgab, räusperte sich plötzlich jemand über ihm und spuckte aus. Werras Puls begann zu jagen.
    Verflucht! An die Turmwachen hatte er im Moment gar nicht gedacht. Vorsichtig wandte er den Kopf, deckte das Gesicht ab und überzeugte sich, daß ihn die Hecke gegen Sicht vom Turm her schützte.
    In Derby begannen plötzlich die Flakgeschütze zu brüllen.
    Fast im gleichen Augenblick setzte der Gesang der Gefangenen ein. Ihr Lied erklang mit unerwarteter Lautstärke. Zum ersten Male hörte er es von außerhalb der Umzäunung. Er grinste. Die Kameraden hatten ein besonderes Lied für ihn ausgesucht; und durch die frostige Nacht hallte es zwischen Motorengebrumm, Bombeneinschlägen und Flakfeuer: ›Muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus!‹
    Er horchte einen Augenblick darauf. Er hätte schwören können, Fanelsas dröhnenden Bariton herauszuhören. Dann aber schob er sich lautlos aus dem Tunnel und kroch auf einige Büsche zu. Hier wartete er wieder. Als nächstes galt es einen Weg zu kreuzen, einige Bauten auf der Farm zu umrunden, wieder einen Weg zu überqueren und dann schnell über das Feld zu laufen, auf dem der Schuppen stand.
    Langsam kroch er aus der Deckung an der Seite des Weges. Als er sich gerade aufrichten wollte, hörte er, daß vor ihm ein Tor zugeschlagen wurde. Stimmen näherten sich – Männer- und Frauenstimmen. Genagelte Stiefel knallten über Pflastersteine. Werra ließ sich platt auf die Erde fallen.
    Die Stimmen kamen näher, sie kamen direkt auf ihn zu. Er blickte vorsichtig auf und erkannte mehrere Gestalten, die um die Ecke eines Gebäudes gebogen waren und zögernd herantraten. Bewohner des Bauernhauses, zweifellos wollten sie dem Gesang der Deutschen lauschen. Ein Mann und zwei Frauen, sie hatten ihre Mäntel über die Schultern gehängt.
    Ein leichtes Rascheln hinter ihm, gefolgt von heftigem Atmen!
    Hauptmann Cramer!
    Dann, etwas weiter zurück, ein Quietschen; unverkennbar der Handgriff von Manharts verdammtem Handkoffer.
    In diesem Augenblick waren die Gestalten auf dem Weg nicht mehr als zehn Meter von ihm entfernt.
    Werra lag flach auf dem Bauch, jeder Muskel seines Körpers war zum Zerreißen gespannt. Als er vorsichtig zwischen den Fingern seiner Fliegerhandschuhe hindurchblinzelte, damit man die weiße Haut seines Gesichtes nicht sehen konnte, hoben sich drei Gestalten gegen den nachtfahlen Himmel ab. Sie waren stehen geblieben und schwiegen nun, nur wenige Meter von ihm entfernt.
    Warum sagten sie nichts? Sie konnten ihn doch gar nicht übersehen, wie er da fast unmittelbar vor ihren Füßen lag.
    Plötzlich rauschte das Gras neben ihm … ein Hund … nun war alles aus! Aber es war nur der Wind, der ihn genarrt

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