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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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Station kommen. Und da gäbe es ein Telefon! Er kletterte auf den Bahndamm. Als Jungen, erinnerte er sich, hatten sie immer das Ohr auf die Schienen gelegt, weil man dann wahrnehmen konnte, ob in weiter Ferne ein Zug kam. Eben wollte er sich bücken, als er zu hören glaubte, wie eine Lokomotive Dampf abließ. Er horchte auf die Richtung, aus der das zischende Geräusch kam, und machte sich auf den Weg. Die Lokomotive stand auf einem Seitengleis, ein Mann kletterte auf den Kohlen des Tenders herum. Die Feuertür stand offen, roter Schein flackerte durch den Führerstand.
    »Hallo!« rief Werra. Keine Antwort.
    Er stieg auf den Führerstand. Der Lokomotivführer hockte in einer Ecke, den Kopf hinter dem Verdunkelungstuch, das zwischen Lok und Tender gespannt war.
    »Hallo!«
    Der Kopf des Lokführers erschien. Als er den Mann im Fliegerdreß sah, der da plötzlich vor ihm stand, die Zeitung unter den Arm geklemmt, blieb ihm vor Erstaunen der Mund offen. »Was … um Himmels willen, wer sind Sie und was wollen Sie hier?« entfuhr es ihm schließlich.
    »Ich bin Captain van Lott, früher holländische Luftwaffe, jetzt Royal Air Force. Ich habe hier in der Nähe eine Notlandung gebaut. Flaktreffer beim Angriff auf Dänemark – ich muß jetzt so schnell wie möglich zum nächsten RAF-Flugplatz. Können Sie mir dabei helfen?«
    Die Erklärung klang so selbstverständlich und doch so überraschend, daß der Lokführer lachen mußte. »Ja, Mann Gottes, da sind sie nun also vom Himmel gefallen, und ich soll Ihnen helfen – aber was soll ich denn dabei tun? Ich kann Sie doch nicht mit der Lok hinfahren!«
    Werra grinste; es überlief ihn wie eine Welle von Glück: das war nun der erste Mensch, mit dem er sprach, und der schien keinerlei Verdacht zu schöpfen.
    »Nee, das können Sie nicht, aber vielleicht können Sie mir sagen, wo ich das nächste Telefon finde!«
    »Oh! Hm, ja, mein Heizer hat gerade Schicht gemacht. Am besten gehen Sie mit ihm die Schienen entlang zur Station.«
    Der Heizer, ein junger Bursche von noch nicht zwanzig Jahren, kletterte vom Tender herunter und sah den Besucher erstaunt an.
    »Ein Flieger«, erklärte der Lokführer. »Mußte runter, sagte er. Telefonieren will er, sagte er. Nimmst du ihn am besten mit nach Codnor Park, Harold. Der Signalmann da kann ja mal sehen …«
    »Klar. Ich geh jetzt.«
    »Cherio!« sagte der Lokführer. »Verlassense sich man auf Harold. Viel Glück!«
    »Cherio!« erwiderte Werra gelehrig. »Tanks!«
    »Haltense sich man dicht hinter mir«, sagte Harold, »sonst knallense noch hin! Vorsicht mit den Drähten. Gleich geht's leichter. Is nich weit.«
    »Good«, sagte Werra, »ich paß schon auf. Wo geht's denn hin?«
    »Codnor Park.«
    »Codnor Park – was ist das?«
    »Kleine Station.«
    »Gibt's da 'n Telefon?«
    »Denk schon. Signalmann wird's wissen. Sie 'n Pilot?«
    »Hm, ja, von 'ner Wellington.«
    »Hier rüber noch, dann sind wir gleich da. Was issen passiert?«
    »Flaktreffer über Dänemark. Wir sind mit einem Motor zurückgekommen.«
    »Und abgeschmiert?«
    »Ja. Vor ungefähr zwei Stunden.«
    »Sind aber kein Engländer, was?«
    »No. Holländischer Captain in der RAF.«
    »Und die anderen?«
    »Keiner verletzt!«
    »Jungen! Habense aber Schwein gehabt. Ich und der Lokführer haben nix davon gehört …«
    Sie stapften schweigend weiter über die Schwellen. Es war bitterkalt, der Himmel hatte aufgeklart und hing voller Sterne. Sie gaben gerade genug Licht, daß Werra die Schwellen erkennen und dicht hinter dem Heizer bleiben konnte. Es war gar nicht so einfach, die Schrittlänge dem Abstand der Schwellen anzupassen. Von Werra stieß sich mehrfach die Zehen an dem Schotter, und wenn er gegen die Schienen trat, gab es einen eisigen metallenen Klang.
    Um halb sechs erreichten sie die Station Codnor Park der ›London-Midlands-Scottish‹, einer der großen englischen Privateisenbahnen. Harold übergab seinen Besucher dem Signalmann Mr. R. W. Harris. Leider gab es aber in dem Signalstand keinen öffentlichen Fernsprecher, nur ein Netztelefon der Eisenbahngesellschaft.
    »Das nützt mir nichts!« sagte der Flieger ärgerlich.
    »Warten Sie doch auf den Schalterbeamten! Der hat ein Telefon in seinem Dienstzimmer«, schlug Harris vor.
    »Und warum gehn wir nicht rüber und telefonieren von dort?« fragte der Flieger.
    »Abgeschlossen«, sagte der Signalmann, »aber Mr. Eaton muß jede Minute kommen.«
    Franz von Werra warf einen Blick auf seine Fliegeruhr.

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