Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
Vom Netzwerk:
Bremserhäuschen des drittletzten Wagens und überließ sich und sein Schicksal dem Güterfahrplan der ›London-Midland-Scotch‹-Eisenbahnen.
    Nun führte ihn dieser Zug aber nicht nach Sheffield. In der Gegend des Braunkohlen-Tagebaues bei Westhouses fuhr der Zug in nordöstlicher Richtung über Shirebrook und Creswell nach Worksop, wo er gegen sechs Uhr, also noch bei Dunkelheit, eintraf.
    Manhart stieg aus, seine Knochen waren von der Kälte so steif geworden, daß er sich kaum bewegen konnte. Er mußte sich aufwärmen, koste es, was es wolle. Außerdem hatte er keine Ahnung, wo er sich befand. Also stolperte er über die Geleise auf ein Gebäude zu, vor dem eine Reihe von Bogenlampen brannte – der Fliegeralarm war also inzwischen wohl beendet. Es war der Bahnsteig vor dem Stationsgebäude von Worksop, der so verheißungsvoll beleuchtet war.
    Drinnen war es warm, das war die Hauptsache. Aber kaum war er ein wenig aufgetaut, da meldete sich der Hunger. Manhart traute sich nicht, etwas zu bestellen, denn er wußte, wie miserabel sein Münchner Schul-Englisch klang. Er beobachtete die Leute – die meisten schienen Bergarbeiter zu sein –, wie sie an die Theke gingen, ein Sixpencestück hinwarfen und einen Becher Tee mitnahmen. Er tat dasselbe. Nie in seinem Leben hatte ihm Tee besser geschmeckt als dieser mit Kondensmilch und Zucker vermischte Aufguss.
    Doch der Hunger wurde nicht geringer. Und so tat Manhart schon am ersten Morgen, was er sich feierlich abgeschworen hatte: Er öffnete seinen Handkoffer und verzehrte eine von den Tafeln Schokolade, die er eigentlich unversehrt seiner Braut in Berlin mitbringen wollte.
    Draußen neben dem Fahrkartenschalter hing eine Karte. Es war ein wenig mühsam, sie zu lesen, denn die Bahnlinien waren dick eingezeichnet, die Straßen aber nur haardünn. Zweifellos würde es am einfachsten sein, sich eine Fahrkarte zu lösen und nach Sheffield zu fahren – oder besser gleich bis zu einer Hafenstadt an der Ostküste. Doch die Eisenbahn schien ihm zu gefährlich, sicher würde man die Bahnhöfe am ehesten überwachen, wenn die Flucht entdeckt wäre. Es war sicher schon höchste Zeit, von hier zu verschwinden. Sheffield war eine große Stadt, dort könnte er untertauchen und überlegen, wohin er sich endgültig wenden sollte.
    Er machte sich zu Fuß auf den Weg, gestärkt von Tee und Schokolade. Langsam wurde es hell, der Himmel hatte aufgeklart, vielleicht würde es ein schöner Tag werden. Das Marschieren tat seinen Gliedern gut.
    Aber nach wenigen Kilometern merkte er, wie müde und erschöpft er war. Und der Griff seines Koffers, der bei jedem schritt im Takt quietschte, begann nun auch ihn langsam nervös zu machen. Werra hatte schon recht gehabt, er hätte den Griff vorher ölen sollen. Aber wo hatte es im Lager einen Tropfen Öl gegeben? Nun, ein bißchen Margarine hätte es vielleicht auch getan.
    In Gateford fand er eine Bus-Haltestelle. Der Fahrplan hing in einem Kästchen am Mast der Überlandleitung. Es war die Strecke von Gainsborough nach Sheffield. Der Bus mußte in etwa zehn Minuten kommen. Manhart beschloß, in der Nähe zu warten.
    Es war ein Doppeldecker, mit Mr. Harry Winks als Fahrer und Mr. Colin Spittle als Schaffner. In Retford, auf halbem Wege zwischen Gainsborough und Worksop, hatte die Polizei eine Kontrollstelle eingerichtet und allen Autofahrern gesagt, daß in der vergangenen Nacht fünf deutsche Kriegsgefangene aus einem Lager in der Nähe entwichen seien. Man möge ein wenig Ausschau halten und besonders auf Männer achten, die Fahrzeuge anhielten.
    »Na, die werden schon nicht so dumm sein und einen fahrplanmäßigen Omnibus nehmen!« hatte Mr. Spittle dem Polizisten kopfschüttelnd gesagt und seinen Bus wieder abgeläutet.
    In Gateford stiegen noch zwei Fahrgäste in den bereits übervollen Omnibus. Es schienen Bäuerinnen zu sein, die in die Stadt wollten, eine trug einen großen, mit einem karierten Tuch bedeckten Henkelkorb, den sie vorsichtig zurückzog, als der Schaffner die Tür zuziehen wollte. Wahrscheinlich waren Eier in dem Korb, Mr. Spittle fragte scherzhaft, was denn die Dinger jetzt auf dem Schwarzen Markt kosteten, aber die Frau gab keine Antwort.
    Plötzlich sprang ein Mann auf den bereits anfahrenden Bus, zwängte sich durch den noch offenen Spalt der Tür und drängte sich gegen den Eierkorb der Bäuerin, die nun gleich zu schimpfen anfing. Es war ein dunkelhaariger junger Mann mit breiten Schultern in einem billigen,

Weitere Kostenlose Bücher