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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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die gewaltige Macht der Industrie und das komplexe Verhältnis zwischen Profit und Verantwortung. Die Haltung des Mannes hatte nichts Herablassendes an sich, als er freundschaftlich zu bedenken gab, dass ein Kampf gegen solche Giganten aussichtslos sei.
    Rathbone lächelte. Plötzlich, als spürte sie, dass er sie anschaute, blickte Margaret mit warmen, leuchtenden Augen, aus denen vollkommenes Glück sprach, zu ihm hinüber.
    Diese süße, vertraute Stimmung hielt sich auch noch während der Heimfahrt in der Kutsche und wurde noch intensiver, als sie den Bediensteten für den Rest der Nacht freigaben und allein nach oben gingen. Auf einmal fiel die Leidenschaft unendlich leicht. Alles war so selbstverständlich, keiner musste etwas fragen. Mehr noch, überhaupt etwas zu sagen hätte einen Zweifel an dem Geschenk eines solch großen Glücks bedeutet.
    Am nächsten Morgen in der Kanzlei wurde Rathbones Seelenfrieden allerdings gründlich zertrümmert.
    »Lord Cardew ist im Vorraum und möchte Sie sprechen«, eröffnete ihm sein Diener mit ernster Stimme. »Ich habe ihm gesagt, dass ich vorher mit Ihnen Rücksprache nehmen muss, aber ich habe mir die Freiheit gestattet, Lady Lavinia Stock zu fragen, ob es ihr möglich wäre, Sie ein andermal zu konsultieren. Ihr Anliegen ist ja eher trivial, und sie war so freundlich, ihren Termin zu verschieben.«
    Rathbone starrte ihn voller Entsetzen an. Der Mann war ein hervorragender Bürodiener und hatte viele Jahre seines eigenen Lebens geopfert, um immer treu und zuverlässig an seiner Seite zu stehen, aber jetzt hatte er sich in der Tat eine sehr große Freiheit herausgenommen.
    Die Wangen des Dieners hatten sich leicht gerötet, doch er stellte sich Rathbones Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.
    »Da ich Sie so gut kenne, Sir, hielt ich es für sicher, dass Sie ihm zumindest die Güte erweisen würden, ihn anzuhören, selbst wenn Sie nicht den Wunsch haben sollten, den Fall zu übernehmen – oder das Gefühl hätten, diese Angelegenheit entziehe sich Ihrer Kompetenz.«
    Rathbone setzte schon zu einer Widerrede an, nur um leicht belustigt festzustellen, dass der Mann ihn äußerst geschickt überlistet hatte. Im ganzen Leben würde er nicht zugeben, dass er nicht in der Lage war, einen Fall zu bearbeiten. Ebenso wenig konnte er sich weigern, Lord Cardew wenigstens anzuhören, da der Mann von der wahrscheinlich grausamsten Notlage seines Lebens heimgesucht wurde.
    »Nun, wenn Sie schon entschieden haben, dass ich den Fall annehmen soll, führen Sie Lord Cardew wohl besser herein«, antwortete er trocken.
    Der Diener verneigte sich. »Es steht mir nicht zu, zu bestimmen, welchen Fällen Sie sich widmen, Sir Oliver. Ich werde Lord Cardew unverzüglich hereinführen. Soll ich Tee machen, oder würden Sie in Anbetracht der Umstände womöglich etwas Stärkeres bevorzugen? Brandy vielleicht?«
    »Tee ist hervorragend, danke. Ich muss stocknüchtern sein, wenn ich in dieser Sache von Nutzen sein will. Und …«
    »Ja, Sir Oliver?«
    »Über das andere werden wir noch ein Wörtchen reden müssen.«
    »Sehr wohl, Sir. Ich bringe den Tee, sobald er fertig ist.«
    Damit zog er sich zurück, nur um einen Moment später Lord Cardew die Tür aufzuhalten. Ein Herr von Anfang sechzig trat ein, auch wenn er an diesem Tag zwanzig Jahre älter wirkte. Aus seiner Haut, die so trocken war wie altes Pergament, war jede Farbe gewichen. Er stand kerzengerade da, die Schultern gestrafft, bewegte sich aber, als wäre er am ganzen Körper von Schmerzen gepeinigt.
    Ein so banaler Gruß wie »Guten Morgen« erschien hier unangebracht. Für diesen Mann konnte der Tag nichts Gutes bereithalten. Rathbone dankte dem Diener und entließ ihn, dann bedeutete er seinem Gast, auf dem großen Ledersessel gegenüber seinem Pult Platz zu nehmen.
    »Ich bin darüber auf dem Laufenden, was geschehen ist, zumindest in den groben Umrissen«, begann Rathbone eilig, um Cardew den Schmerz zu ersparen, es ihm berichten zu müssen.
    Cardew blickte ihn verwirrt an.
    »Commander Monk ist seit Langem mit mir befreundet«, erklärte Rathbone.
    »Er erzählt Ihnen von allen seinen Fällen?«, fragte Cardew ungläubig.
    »Keineswegs, Sir. Aber dieser bekümmert ihn mehr als die meisten anderen, da er eng mit der erst kürzlich abgeschlossenen Sache um Jericho Phillips zusammenhängt.«
    Cardew wirkte auf den Anwalt wie ein alter Mann, der einfach zu stur war, um sich eine Niederlage einzugestehen. Rathbone hatte schon andere

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