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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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die ganze Zeit das Hirn zermartert, ob mir irgendjemand einfällt, der mich gesehen haben könnte. Aber das ist ja gerade der Reiz, wenn man sich von der Stadt entfernt und weiter ins Landesinnere begibt: Dort trifft man keine Bekannten. Tut mir leid.« Er deutete ein Schulterzucken an.
    »Sie haben doch nicht etwa selbst gerudert!«, warf Rathbone dazwischen.
    »Doch, das habe ich tatsächlich.«
    »Sie haben ein Boot gemietet. Von wem? Darüber gibt es gewiss Aufzeichnungen.«
    »Nein. Ich habe ein eigenes. Eigentlich teile ich es mit einem Bekannten. Aber der ist gegenwärtig in Italien. Hilft auch nichts, nicht wahr?«
    »Allerdings«, bestätigte Rathbone. »Wohin genau sind Sie gefahren?«
    »Chiswick. Ich habe das Boot an einer der Anlegestellen gegenüber der Chiswick Ait vertäut. Dann bin ich die Mall hinuntergelaufen und in einem Pub in der Black Lion Lane auf einen Drink eingekehrt. Dort habe ich mich mit ein paar Männern unterhalten, aber ich bezweifle, dass sie sich daran erinnern würden. Es waren ja nur ein paar alberne Bemerkungen über das Wetter, solche Themen eben.«
    »Und dann?«
    Rupert blickte auf seine Hände hinab, die immer noch auf dem Tisch lagen. »Dann bin ich gegangen, um eine Bekannte zu besuchen, ein Mädchen.«
    »Ist das ein Euphemismus für eine Prostituierte?«, hakte Rathbone nach.
    Eine dunkle Röte schoss Rupert in die Wangen. »Ja.«
    »Ihr Name?«
    »Hattie Benson.«
    »Sie kennen sie? In einem anderen Sinne als dem fleischlichen?«
    Rupert sah hastig auf. »Ja. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr Wort viel helfen wird. Zu dem Zeitpunkt hatte ich mein Halstuch noch. Ich erinnere mich, dass ich es abgenommen habe, das muss gewesen sein, bevor Parfitt damit ermordet wurde. Es sei denn, jemand hat ihn mit einem anderen Halstuch erdrosselt, das exakt so aussieht wie meines. Das ist wohl ein bisschen weit hergeholt, nicht wahr?« Hoffnung flackerte in seiner Stimme auf, erlosch jedoch sogleich wieder, bevor Rathbone sich gezwungen sehen konnte, sie ihm zu rauben.
    »Ja. Ich fürchte, das ist es in der Tat«, erwiderte Rathbone. »Wohin gingen Sie, nachdem Sie Miss Benson verlassen hatten?«
    »Das weiß ich nicht. Ich war ziemlich betrunken. Ich schlief irgendwo ein, kann mich aber nicht erinnern, wo. Als ich aufwachte, war es dunkel, und ich fühlte mich gottserbärmlich. Ich ging dann rüber zur Pferdetränke und tauchte den Kopf ins Wasser. Das nüchterte mich einigermaßen aus, und ich ruderte nach Hause.« Er blickte Rathbone in Erwartung einer Verurteilung ins Gesicht.
    »Die Strafverfolgung wird das Gericht nur dann von Ihrer Schuld überzeugen können, wenn sie beweist, dass Sie Mickey Parfitt kannten und irgendeinen Grund hatten, sich seinen Tod zu wünschen«, belehrte ihn Rathbone. »Berichten Sie mir von Ihren sämtlichen Kontakten mit ihm, und lügen Sie mich nicht an. Wenn man Sie bei der geringsten Unwahrheit ertappt, wird das genügen, um Ihnen jede Glaubwürdigkeit abzusprechen, die Ihnen die Geschworenen ansonsten vielleicht noch zubilligen würden.«
    Rupert starrte ihn gequält an, die Haut über den Wangen straff gespannt, den Mund zu einem dünnen Strich zusammengepresst.
    »Es ist zu spät für Diskretion«, beschwor ihn Rathbone. »Ich werde nichts weitererzählen, sofern dies Ihnen nicht schadet. Insbesondere Ihrem Vater werde ich nichts davon sagen. Er wird auch so schon mehr als genug leiden – trotz allem, was ich ausrichten kann.«
    Rupert erweckte den Eindruck, als hätte ihn Rathbone zusammengeschlagen und seinem Gesicht tiefere als nur rein äußerliche Wunden zugefügt.
    »Ich habe Parfitt nicht ermordet«, erklärte er mit fester Stimme.
    Rathbone redete weiter, als hätte sein Gegenüber nichts gesagt. »Worin bestand Ihre Beziehung zu ihm? Wann und wo haben Sie sich kennengelernt? Wenn irgendeine Ihrer Angaben überprüft werden kann, würde ich auch das gern wissen.«
    Rupert senkte den Blick auf die vernarbte Tischplatte. »Ich habe ihn vor etwas mehr als zwei Jahren kennengelernt. Damals war ich mit einer Gruppe von Freunden unterwegs, wieder mal im Black Lion. Wir alle waren ziemlich überdreht – und gelangweilt. Einer von uns begann, mit Frauen zu prahlen, die er gehabt hatte, nicht nur in London, sondern auch in Paris. Dann brachte ein anderer Berlin ins Spiel und wieder ein anderer Madrid. Die Geschichten wurden immer wüster; das meiste davon war wohl gelogen.« Er atmete tief ein. »Danach sagte einer, er kenne einen

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