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Eines Tages geht der Rabbi

Eines Tages geht der Rabbi

Titel: Eines Tages geht der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Besonders in deinem eigenen Interesse.»
    «Wie meinst du das?»
    Mulcahey musterte den geknickten jungen Mann vor seinem Schreibtisch. Was war los mit ihm? Woran haperte es bei diesem zweifellos gutaussehenden Jungen? Weil er ihm leid tat, versuchte er, es ihm klarzumachen. «Puertoricaner haben große Familien. Jeder hat einen Haufen Geschwister und dazu noch jede Menge Cousinen und Onkel und Tanten. Wärst du in die Verhandlung eingestiegen, hättest du ein stattliches Publikum gehabt. Wenn sie sehen, daß ein Anwalt für seinen Mandanten kämpft, aufspringt, Einwände macht, sich beim Kreuzverhör ins Zeug legt, ein leidenschaftliches Plädoyer hält, imponiert ihnen das, auch wenn er verliert. Was ist, wenn dein Mandant tatsächlich drei bis fünf Jahre kriegt? Du brauchst sie schließlich nicht abzusitzen. Aber seine Leute, die wissen, daß ein Prozeß eine Art Spiel ist, bei dem man manchmal gewinnt und manchmal verliert. Für sie zählt, ob du dich gut geschlagen hast. Und wenn du bei ihnen gut angekommen bist, ist auch geschäftlich was für dich drin, Zivilsachen und auch Strafsachen. Ein Mietvertrag, eine Eigentumsübertragung, eine Beurkundung – damit kommen sie dann zu dir gelaufen, weil sie wissen, daß du für deinen Mandanten gekämpft hast und daß er dir am Herzen lag. Statt dessen hast du dich auf einen Kuhhandel mit der Anklage eingelassen, und früher oder später werden dein Mandant und seine Familie und seine Freunde sich überlegen, ob du den Prozeß nicht vielleicht doch hättest gewinnen können.»
    «Du meinst also, ich habe Mist gebaut?»
    «Klar hast du Mist gebaut», sagte Mulcahey und hatte schon die üblichen Trostworte auf der Zunge. Aber dann fiel sein Blick auf das Spiegelbild in der schmutzigen Bürofensterscheibe, und er konnte nicht umhin, Vergleiche zwischen seinem eigenen Aussehen – dem gedrungen-formlosen Körper, dem aufgeschwemmten Gesicht, der Knollennase – und dem seines sympathischen jungen Gegenüber zu ziehen. Scofield hatte alles, er dagegen hatte bei Null angefangen, und trotzdem …
    Plötzlich ärgerte er sich über Scofield. Dabei ging es ihm nicht nur um den Fall Gonzales, den er vermurkst hatte, sondern überhaupt um seine unangebrachte Selbstzufriedenheit. Aber er ließ sich seinen Ärger nicht anmerken, als er das tiefe Schreibtischfach aufzog und eine Flasche und ein Glas herausholte. Automatisch hielt er Scofield mit einer fragenden Geste die Flasche hin, aber der schüttelte den Kopf.
    Mulcahey schenkte sich ein, nahm einen Schluck, dann lehnte er sich, das Glas in der Hand, in seinem Drehsessel nach hinten, stützte sich mit dem Fuß an der Kante des aufgezogenen Schubfaches ab. «Ist dir schon mal der Gedanke gekommen», fragte er träge, «daß du den falschen Beruf haben könntest?»
    «So schlecht findest du mich?»
    Mulcahey breitete resigniert die Arme aus. «Du denkst Probleme nicht zu Ende. Du bist zu impulsiv. Du hast Ideen, manchmal richtig gute Ideen, aber du legst los, ohne die langfristigen Wirkungen zu bedenken, wie heute bei diesem Fall oder bei dem Vertrag, den du vor zwei Tagen aufgesetzt hast. Du denkst schnell, aber nicht auf lange Sicht. Und genau das – die langfristigen Erwägungen – ist Sache des Anwalts. Der Mandant macht etwas oder will etwas von dir gemacht haben, er ist ganz versessen darauf, und dann mußt du als Anwalt gegensteuern und fragen: ‹Aber was ist, wenn …?› Und das ist bei dir irgendwie nicht drin.»
    «Was schlägst du vor?»
    Mulcahey überlegte. «Du bist jetzt drei, vier Jahre weg von der Uni, nicht?»
    «Ja.»
    «Und du kommst nicht voran, stimmt’s? Einerseits ziehst du dich gut an und hast die Wohnung in Waterfront Towers. Andererseits fährst du diese blödsinnige alte Kutsche, die du gebraucht gekauft hast. Wie sieht’s denn mit dem Kies bei dir aus?»
    «Nicht besonders.»
    Mulcahey stieß eine ordinäre Lache aus. «Natürlich könntest du eine reiche Frau an Land ziehen und heiraten, dann wärst du alle Sorgenlos.»
    «Reiche Frauen lassen sich heutzutage nicht mehr an Land ziehen. Sie ergreifen einen Beruf, werden Ärztinnen und Anwältinnen und Professorinnen.»
    «Eventuell könntest du dich ja mit einem cleveren jungen Juden oder Italiener zusammentun. Du bringst ihm die Fälle, er bearbeitet sie. So wie du aussiehst, müßte das klappen, und von Familie und Ausbildung her kennst du doch bestimmt genug Leute. Die Mandanten, die du bringst, übergibst du ihm und – nee …» Mit einer

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