Eines Tages geht der Rabbi
Vorlage durchgegangen», sagte Tony mißmutig. Er war groß und schlank und hatte ein gutgeschnittenes, allerdings auffallend verschlossenes Gesicht und ein seltsam grimassenhaftes Lächeln, mit dem er jetzt andeutete, er wisse mehr, als er gesagt hatte. Es bedeutete auch, daß er zwar nicht am Hungertuch nagte, aber erwartete, daß beim nächsten Geschäft ein Bonus für ihn heraussprang.
Tony griff sich den Scheck, den der Sekretär ihm hinschob. «Kennt ihr die Leute bei Atlantic Dredging?»
«Höchstens Fowler.»
«Richtig, Fowler …» Fowler? So ein Quatsch. Den kannte doch jeder. Er war Vorstandsvorsitzender des Unternehmens, den konnte man sich notfalls auch aus dem Telefonbuch heraussuchen.
Tony schob sich aus der Nische und ging in Richtung Kasse. Über die Schulter sagte er beiläufig: «Also gut, ich fahr dann mal ’ne Weile nach Hause.»
«Und wenn der Alte sich mit dir in Verbindung setzen will?»
Wieder das ironische Lächeln. «Ich meld mich bei ihm. Ist besser so.» Als der Sekretär sich zum Gehen wandte, rief Tony ihm noch nach: «Habt ihr was über Fowler?»
«Was zum Beispiel?»
«So Sachen, über die er vielleicht mal mit mir reden würde, wenn er wüßte, daß ich was davon weiß.»
Der Sekretär schüttelte den Kopf. «Nein, in der Art haben wir nichts. Wenn ich was höre …»
«Alles klar,»
6
Belle Halperin, eine auffallende Erscheinung mit rötlichblondem Haar, war zwar fest entschlossen, sich von der Pracht im Hause Magnuson nicht überwältigen zu lassen, aber während des ganzen Essens, ja, schon seit sie gekommen waren, malte sie sich aus, wie sie es «den Mädels» erzählen würde. «Wir waren zum Essen bei den Magnusons. Er ist nämlich ein Mandant von Morris …»
Die Lammkoteletts mit Folienkartoffeln waren nur deshalb enttäuschend, weil sie als Hauptgericht etwas vornehm Französisches erwartet hatte. Andererseits wurde dadurch das Bild, das sie von Mrs. Magnuson zu geben gedachte, noch anschaulicher. «Sie ist so schlicht und herzlich und völlig natürlich …»
Später, beim Kaffee, sagte sie zu ihrer Gastgeberin: «Wunderschöne Bilder haben Sie.»
«Belle schwärmt für die schönen Künste», bemerkte ihr Mann.
«Ich zeige Ihnen das Haus, wenn Sie mögen», sagte Sophia Magnuson. «Oben haben wir noch ein paar Sachen, die Sie vielleicht interessieren.»
«Ja, gern.»
Mrs. Magnuson stand auf. «Ihr entschuldigt uns wohl …»
Magnuson blieb mit Morris Halperin allein. Er schenkte Kaffee nach. «Sie haben sich sehr für die Synagoge engagiert, nicht?»
Halperin nickte. «Ja. Nicht daß ich besonders fromm wäre, aber ich bin wohl ein Typ, der sich einfach engagieren muß, wenn ihn etwas interessiert.»
«In gewisser Hinsicht geht mir das auch so», meinte Magnuson. «Jedenfalls möchte ich über Dinge, mit denen ich zu tun habe, ganz genau Bescheid wissen. Die Organisation des Tempels ist ein gutes Beispiel. Wenn ich schon im Vorstand bin, will ich auch informiert sein, was läuft. Ich habe zwar erst an wenigen Sitzungen teilgenommen – die letzte war vor etwa einem Monat –, aber ich habe den Eindruck, daß wir keine Richtung, kein festes Programm haben.»
«Ja, also –»
«Unser Präsident scheint ein ganz vernünftiger Mann zu sein, und die Sitzungen leitet er sehr ordentlich, aber eine klare Linie vermag ich bei ihm nicht zu erkennen. Mir kommt es vor, als ob es ihm nur darum geht, den Status quo aufrechtzuerhalten.»
«Interessant, daß Ihnen das schon aufgefallen ist.»
Magnuson lächelte. «Ich habe genug Vorstandserfahrung, um zu spüren, was in der Luft liegt. Meinem Gefühl nach ist Feinberg so eine Art Interimspräsident.»
«Respekt», sagte Halperin. «Sie haben es genau getroffen. Sehen Sie, wir sind eine konservative Synagoge, weil die konservative Richtung ein Kompromiß zwischen den Orthodoxen und den Reformern ist. Mehr als eine Synagoge verkraftet die Gemeinde nicht, und da ist eine konservative Richtung eigentlich die einzig mögliche. Wir hatten schon Präsidenten, die mehr zu den Reformern, andere wieder, die mehr zur Orthodoxie tendierten, aber im Grunde waren sie doch alle konservativ. Bis auf einen. Vor zwei Jahren ist Chester Kaplan durchgekommen, und der ist orthodox bis auf die Knochen.»
«Kaplan ist der kleine Dicke mit dem schwarzen Käppchen, der am Tischende sitzt, nicht? Anwalt, wenn ich mich recht erinnere.»
«Ja, und sehr erfolgreich in seinem Beruf. Die Jarmulke trägt er, weil die Vorstandssitzungen in
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