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Eines Tages geht der Rabbi

Eines Tages geht der Rabbi

Titel: Eines Tages geht der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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der Synagoge stattfinden, aber er trägt sie auch zu Hause und würde sie bestimmt auch bei Gericht tragen, wenn er nicht fürchten müßte, daß der Richter was dagegen hat oder einer der Geschworenen es krummnimmt. Und täglich geht er zum Minjan. Morgens und abends. In dem Jahr seiner Amtszeit hätte er es fast geschafft, daß die Gemeinde sich spaltet.»
    «Und danach wurde dann Feinberg gewählt, um die Wunden zu heilen, ja?»
    «Ja, so könnte man es wohl ausdrücken. Jedenfalls, um einen mittleren Kurs zu steuern. Und weil er das sehr ordentlich gemacht hat, wurde er zweimal wiedergewählt.»
    «Und was ist nächstes Jahr?»
    «Das ist die große Frage, Mr. Magnuson. Bei der letzten Vorstandssitzung hat Feinberg für den nächsten Monat seinen Rücktritt bekanntgegeben. Seine Frau kränkelt, und sie ziehen nach Arizona.»
    «Dann rückt also der Vizepräsident nach.»
    «Haben wir nicht. Abe Kahn ist gestorben, kaum daß er einen Monat im Amt war. Das hat niemanden überrascht. Er war alt und krank.» Magnuson hob fragend die Augenbrauen, und Halperin erläuterte: «Er war von Anfang an Mitglied der Gemeinde und hat hohe Summen gespendet, da wollte man ihm wohl irgendeine Anerkennung zukommen lassen. Sie wissen ja, wie das an den Hohen Feiertagen ist, der Präsident und der Rabbi sitzen auf der einen Seite der Bundeslade, der Vizepräsident und der Kantor – wenn er nicht die Liturgie leitet – auf der anderen. Ja, und da hat man ihm eben das Amt als eine Art Ehrenstellung zugebilligt.»
    «Verstehe. Da wir keinen Vizepräsidenten haben, wird es also nach dem Rücktritt des Präsidenten eine Neuwahl geben?»
    «Ganz recht, eine vorgezogene Neuwahl. Und Kaplan will sich wieder aufstellen lassen.»
    «Wenn seine Amtszeit so ein Fiasko war, dürfte er wohl kaum große Chancen haben», meinte Magnuson.
    «Sagen Sie das nicht. Für die Wahl wird eine Mitgliederversammlung einberufen. Wir haben etwa 350 Mitglieder, ich glaube aber kaum, daß mehr als 200 erscheinen werden, und von diesen 200 wissen vielleicht 50, was eigentlich anliegt. Hinter Kaplan steht eine kleine, aber einflußreiche Clique, und die wird nicht müßig sein. Einige Mitglieder werden für ihn stimmen, weil sie ihn zumindest dem Namen nach kennen, andere, weil er fromm ist und sich das in ihren Augen für einen Gemeindevorsteher einfach so gehört. O doch, ich glaube schon, daß er es schaffen könnte.»
    «Und wen würden Sie gegen ihn aufstellen? Denn Sie gehören ja wohl zur Opposition, nicht?»
    «Bis jetzt haben wir uns auf keinen Kandidaten einigen können, das ist ja eben das Dumme. Feinberg hat uns mit seiner Mitteilung überrumpelt, und es gibt einfach zu viele, die in Frage kommen.»
    «Wären Sie selbst interessiert?»
    «Nein, nein, ich muß da passen. Schon aus Zeitgründen. Außerdem wäre ein älterer Präsident besser, und er dürfte mit seiner Existenz nicht auf die Leute hier angewiesen sein, wie das bei mir der Fall ist.»
    «Aber wäre nicht gerade die Werbung gut für Sie?»
    Halperin schüttelte den Kopf. «Es ist im wesentlichen eine politische Position. Das bedeutet, daß Sie die eine Hälfte der Gemeinde hinter sich haben, während die andere Hälfte gegen Sie ist. So etwas kann ich mir nicht leisten.»
    «In Boston war ich im Vorstand der Zedek-Synagoge», sagte Magnuson scheinbar zusammenhanglos. «Mein Großvater hat sie mitbegründet.»
    «Ich habe im stillen schon gehofft, daß Sie bei uns mitmachen würden. Wenn Sie sich hinter unseren Kandidaten stellen …»
    «Das Wirken im Hintergrund liegt mir allerdings weniger», meinte Magnuson. «Wenn ich mich für ein Unternehmen interessiere, möchte ich darin auch was zu sagen haben.»
    «Soll das heißen –» begann Halperin. Dann ging ihm ein Licht auf. «Wären Sie bereit, sich zur Wahl zu stellen?»
    «Es kommt etwas unerwartet. Ich müßte es mir überlegen.»
    «Bitte tun Sie das», sagte Halperin eindringlich.
    «Tja, ich weiß nicht recht … Wenn ich in etwa die Chancen absehen könnte …»
    «Es ist eine Wahl, garantieren kann ich natürlich für nichts, aber –»
    «Eine Garantie würde ich auch nicht verlangen, aber ich möchte mich nicht gern lächerlich machen. Ich bin neu hier und noch nicht bekannt –»
    «Nicht bekannt? Ich bitte Sie, Mr. Magnuson! Wer ist wohl bekannter als Sie in unserer Gegend? Magnuson & Beck – das ist doch ein Begriff. Das größte Warenhaus in Boston …»
    «In Neuengland», sagte Magnuson selbstzufrieden. «Unsere Familie

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