Eines Tages geht der Rabbi
Gouverneurs dürften aufkreuzen, und Duffy, einer der Bewerber um den Posten des Justizministers.»
Das Stimmengewirr verebbte, als Jeremiah Duffy ans Rednerpult trat. Man hörte ihm achtungsvoll zu, der Beifall war beträchtlich.
Der Rabbi sah auf die Uhr. «Es ist fast halb elf. Jonathan wartet schon auf mich, oder er muß jede Minute auftauchen.»
«Hier ist sowieso gleich Schluß. Ich komme mit», sagte Lanigan. «Was halten Sie von Duffys Vorschlag, einen Fonds für die Opfer von Raubüberfällen und dergleichen zu gründen?»
«Damit bin ich sehr einverstanden», sagte der Rabbi lächelnd. «Er kommt damit unseren Vorstellungen sehr nah.»
«Wie meinen Sie das?»
«Im Talmud waren Diebstahl, Raub, Überfall und dergleichen keine Straftaten, sondern Delikte, die sich gegen das Opfer richteten, und der Täter mußte nicht nur ersetzen, was er ihm weggenommen hatte, sondern noch eine zusätzliche Summe zahlen, manchmal den mehrfachen Wert des Diebesgutes.»
«Aber wenn es keine Straftat ist–»
«In den Staaten ist eine Straftat eine Handlung zum Schaden des Staates oder in England, wo unser Gewohnheitsrecht herstammt, eine Handlung zum Schaden der Krone. Es liegt auf der Hand, daß es sich dabei um eine juristische Fiktion handelt. Inwieweit ist der Staat oder ist in England Königin Elizabeth betroffen, wenn A dem B etwas wegnimmt? Aber es ist der Staat, der A vor Gericht stellt und ihn, wenn er für schuldig befunden wird, ins Gefängnis steckt. Was kostet die Unterbringung eines Häftlings?»
«Nach der neuesten Statistik etwa 2 0 000 Dollar pro Jahr», sagte Lanigan grimmig.
«Wir alle zahlen also über unsere Steuern 2 0 000 Dollar im Jahr für einen Verbrecher, der im Gefängnis verwahrt wird. Und was hat das Opfer davon? Der Talmud sieht vor, daß das Opfer entschädigt wird und der Täter die ihm auferlegte Strafe abarbeiten muß.»
«Wollen Sie sagen, daß Juden, fromme Juden meine ich, heute noch danach handeln?»
«Nein, denn es gibt ein übergeordnetes Gesetz im Talmud, dina makhuta dina , in dem festgelegt ist, daß die gesetzlichen Bestimmungen des Landes, in dem wir leben, Vorrang haben.»
«Trotzdem – es ist eine bedenkenswerte Idee. Ich frage mich nur, wie das zum Beispiel bei Überfällen von Geldtransportern funktionieren würde. Die Leute würden den Schaden ihr Leben lang abarbeiten müssen. Wie hat Ihnen übrigens Jack Scofield gefallen?»
«Welcher war das?»
«Der hiesige Kandidat für den Senat. Der große Blonde.»
«Der ist mir gar nicht aufgefallen, es waren so viele Redner. Warum?»
«Na, ich habe mir gedacht, daß Ihre Leute die Werbetrommel für ihn rühren würden.»
Ehe der Rabbi den Polizeicheffragen konnte, was er wohl damit gemeint hatte, tauchte Jonathan auf. «Dad», rief er.
«Komme schon, Jonathan.» Der Rabbi winkte Lanigan zu und ging zu seinem Sohn.
21
Als Laura am Montag nachmittag das Lokalblatt aufschlug, stellte sie befriedigt fest, daß die Redaktion ihre Erklärung gebracht hatte, in der das Flugblatt des (Komitees Besorgter Bürger) scharf verurteilt wurde. Die Schlagzeile lautete: «Scofield beklagt schmutzige Tricks. Nennt Baggio ehrenwerten Mann.» Der Vorsitzende des republikanischen Ausschusses von Barnard’s Crossing rief an. «Sehr anständig von Scofield, diese Erklärung abzugeben», sagte er. «Wir sind schließlich alle gute Republikaner, interne Streitigkeiten können wir uns nicht leisten.» Auch Baggios Zentrale meldete sich. «Ich rufe im Namen von Thomas Baggio an, er dankt Mr. Scofield für seine Erklärung. Wir haben eine förmliche Beschwerde beim Wahlausschuß eingereicht, aber ich wollte Ihnen ausdrücklich sagen, daß wir Scofields Unterstützung zu schätzen wissen.»
«Haben Sie etwas von Al Cash gehört?» fragte Laura.
«Kein Wort.»
«Vielleicht hat er das Flugblatt nicht gesehen», meinte sie. «Bei uns war es am Samstag in der Post.»
«Vielleicht.» Das klang recht skeptisch.
Am späten Nachmittag kam Scofield, und sie sah an seinen blanken Augen, daß er sich schon ein, zwei Drinks genehmigt hatte.
Als sie Bericht erstatten wollte, winkte er ab. «Was halten Sie davon, daß wir irgendwo nett essen und – und uns einen schönen Abend machen?»
«Nicht heute», sagte sie entschieden. «Haben Sie vergessen, daß Sie zu einer Versammlung müssen?»
«Richtig. Kommen Sie auch?»
«Vielleicht.»
Er merkte, daß Widerspruch sinnlos gewesen wäre. «Meinetwegen», murrte er und zog ab. Er hielt es einfach
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