Eines Tages geht der Rabbi
Vertrages haben wir uns verpflichtet, den Judaismus, unsere Religion, zu praktizieren. Wenn einer von uns einen Außenstehenden heiratet, verlangen wir nicht nur, daß er mit uns zusammen unseren Teil der Abmachung einhält, sondern daß er einer von uns wird, sich in den Stamm aufnehmen läßt.
Der Judaismus ist ein moralisch-ethisches System und verfügt über Zeremonien, Rituale und liturgische Bräuche, die vornehmlich darauf ausgerichtet sind, uns bei der Ausübung unseres Sittencodex zu unterstützen. Grundlage dieses Sittenkodex sind die uns von Gott gegebenen Gebote, das Ergebnis unseres mit ihm auf dem Berg Sinai geschlossenen Bundes. Einige Juden befolgen diese Gebote gewissenhaft, andere befolgen nur einige, andere scheren sich überhaupt nicht um sie. Aber die Verpflichtung bleibt.
Es gibt auch Christen, die sich an die Gebote halten, aber dadurch werden sie noch nicht zu Juden. Sie gehen einen anderen Weg, sagen sich vielleicht, daß die Gebote zu einem guten Leben fuhren, oder halten sie einfach für vernünftig. Aber weil sie sich diese Vorschriften selbst zurechtgelegt haben, ist es ihnen auch möglich, sie zu:ändern. Das können wir nicht, weil wir einen Vertrag mit Gott geschlossen haben und dies die Bedingungen sind, die wir akzeptiert haben. Wenn Sie einen geschäftlichen Vertrag abschließen und Ihr Partner nicht alle Vertragsbedingungen erfüllt, ist der Vertrag damit noch nicht null und nichtig, sondern Ihr Vertragspartner ist einfach seinen Verbindlichkeiten nicht nachgekommen. Und wenn der Vertrag statt mit einer Einzelperson mit einer Gruppe, einem Unternehmen, geschlossen wird, ist er noch nicht ungültig, nur weil ein Mitglied der Gruppe ausschert.
Ein Katholik, der nicht an die Thesen seiner Kirche glaubt und sich nicht daran hält, ist kein Katholik. Aber ein Jude, der sich nicht an die Gebote hält und nie eine Synagoge betritt, ist trotzdem ein Jude und darf die Tochter des Oberrabbiners von Israel heiraten. Der Rabbiner wäre vielleicht nicht begeistert, er würde möglicherweise versuchen, es zu verhindern, er könnte sogar seine Tochter verstoßen, aber er würde sie nicht, wie nach einer Heirat mit einem Christen, als tot betrauern.»
Magnuson schüttelte den Kopf. «Ich verstehe Sie nicht, Rabbi. Sie würden lieber eine standesamtliche Heirat sehen als –»
«Ich würde lieber eine Heirat mit einem Juden sehen.»
«Ich weiß, aber die Situation ist nun mal so. Muß es denn wirklich eine Ziviltrauung sein? Und was wären dann die Kinder nach jüdischem Recht? Bastarde?»
«Aber nein», sagte der Rabbi schockiert. «Die Kinder wären als Abkömmlinge einer jüdischen Mutter ebenfalls Juden. Im umgekehrten Falle allerdings, wenn der Vater Jude und die Mutter Christin wäre, würden sie als Christen gelten, selbst wenn sie als Juden erzogen und sehr fromm wären. Auch wenn überhaupt keine Trauung stattgefunden hätte, wären sie nach jüdischem Gesetz keine Bastarde. Nur auf einen Sproß aus Ehebruch oder Inzest trifft diese Bezeichnung zu.»
«Also das kommt in meinem Fall überhaupt nicht in Frage. Laura ist fest entschlossen, sich von einem Rabbi trauen zu lassen. Ich begreife Sie nicht. Ist nicht der Spatz in der Hand besser als die Taube auf dem Dach?»
«Darum geht es hier nicht. Man kann bekanntlich auch nicht ein bißchen schwanger sein», sagte der Rabbi. «Ich könnte mich an der Trauungszeremonie nicht beteiligen.»
«Ich habe den Verdacht, daß nicht alle Rabbis Ihre Einstellung teilen.»
«Kein orthodoxer oder konservativer Rabbi würde die Trauung vornehmen. Ich habe von Reform-Rabbis gehört, die so etwas machen, aber hier in der Gegend kenne ich keinen.»
«Ich finde schon einen», sagte Magnuson grimmig, «und wenn ich ihn von sonstwoher holen muß. Was soll ich denn machen?»
«Sie sollten zurücktreten», sagte der Rabbi leise.
«Zurücktreten?»
«Als Präsident der Synagoge.»
«Weshalb soll ich zurücktreten?» fragte Magnuson ärgerlich. Er war rot geworden.
«Weil das eine Ehrensache für Sie sein sollte», sagte der Rabbi. «Als Präsident der Synagoge sind Sie der Kopf der konservativen jüdischen Gemeinde, und Sie haben etwas vor, was konservativem Judentum widerspricht. Würde Ihre Tochter nach New Hampshire oder Vermont fahren – oder wo immer dieser entgegenkommende Rabbi wohnt – und sich dort trauen lassen, würde ich mit Ihnen fühlen. Man kann die Entscheidungen seiner Kinder nicht immer steuern. Aber Sie wollen einen fremden
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