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Eines Tages geht der Rabbi

Eines Tages geht der Rabbi

Titel: Eines Tages geht der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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David.»
    «Doch.» Er erzählte ihr, was vorausgegangen war.
    Sie schüttelte einigermaßen fassungslos den Kopf. «Du hast wirklich besonderes Talent dazu, dich mit allen Leuten anzulegen.»
    «Ich? Das kann ich nicht finden. Nun ja, etliche Präsidenten hatten gewisse – äh – Differenzen mit mir, das stimmt schon. Aber das renkt sich früher oder später alles wieder ein.»
    «Aber bei Magnuson ist das etwas anderes.»
    «Inwiefern?»
    «Denk daran, was Morton Brooks gesagt hat. Magnuson kann sich unter einem Rabbi nichts Rechtes vorstellen. Aus seiner Sicht bist du nur ein Angestellter der Synagoge.»
    «So haben es einige der anderen auch gesehen.»
    «Aber Magnuson ist es gewöhnt, über Mitarbeiter zu bestimmen. Für ihn ist es ganz selbstverständlich, daß man einen schwierigen oder widerspenstigen Angestellten einfach feuert.»
    «Meinetwegen.»
    «Ja, aber –»
    Der Rabbi stellte seine Kaffeetasse ab und tupfte sich mit der Serviette die Lippen. «Ich kann so nicht leben. Mit dem Wissen, daß mein Lebensunterhalt, mein Wohlergehen von den Launen eines Mannes abhängt. Daß ich meine Kräfte darauf konzentrieren muß, ihm zu gefallen, ihn auf keinen Fall zu kränken. Wenn meine Beziehung zu Howard Magnuson so aussehen soll, verzichte ich darauf.»
    «Aber wenn er dich zum Rücktritt auffordert?»
    «Dann lehne ich ab. Wenn der Vorstand mich dazu auffordert, werde ich nach dem Grund fragen und das Recht für mich in Anspruch nehmen, meinen Fall der Gemeinde vorzutragen und–»
    «Howard Magnuson würde es nie auf eine offene Konfrontation ankommen lassen. Er wird sich eine Mehrheit im Vorstand beschaffen, die dafür stimmt, deinen Vertrag nicht zu verlängern. Und was machst du dann?»
    Er zuckte die Achseln. «Vermutlich würde ich dem Seminar mitteilen, daß ich frei bin, und würde sie bitten, sich nach einer neuen Stelle für mich umzusehen. Oder ich könnte es in einem anderen Beruf versuchen, an einer Hochschule etwa, vielleicht auch als Lektor in einem Verlag, als Korrespondent für jüdische Angelegenheiten an einer Zeitung oder –»
    «Aber da hättest du es in den meisten Fällen doch auch mit einem bestimmten Ansprechpartner zu tun, mit einem Direktor oder Dekan, einem Verleger oder Redakteur, und der könnte sich leicht als zweiter Magnuson entpuppen.»
    «Dann nehme ich eben meine Ersparnisse und mache mich selbständig.»
    «Selbständig? Als was denn?»
    «Ich könnte vielleicht eine eigene Schule eröffnen, Hebräisch-Unterricht für Erwachsene, oder ein Geschäft. Ein Schuhgeschäft oder einen Süßwarenladen.»
    «Ein Rabbi, der einen Süßwarenladen betreibt?»
    Er lächelte verschmitzt. «Warum nicht? Gut, vielleicht doch keinen Süßwarenladen, ich nasche zu gern, und da würde wohl nicht viel vom Gewinn übrigbleiben. Der springende Punkt ist, daß ich, anders als katholische oder protestantische Pfarrer, nicht an einen religiösen Beruf gebunden bin. Als Rabbi bin ich ein Weltkind. Und es verträgt sich durchaus mit unserer Tradition, sich sein Brot im Handwerk, im Geschäftsleben oder in einem akademischen Beruf zu verdienen. Früher haben viele berühmte Rabbis als Schreiner, Schmiede oder Holzsammler gearbeitet. In den russischen und polnischen Gettos mußten manche Rabbiner von weltlichen Tätigkeiten leben. Mein Großvater hatte vor seiner Auswanderung, als er Rabbi in einem Stätel war, einen Kramladen. Da hat ihm die Stadt allerdings Vorteile eingeräumt, indem sie die Konkurrenz einschränkte.
    Eigentlich ist uns diese Art zu leben auch eher angemessen, denn unsere Tradition schreibt uns vor, unsere Gelehrsamkeit nicht als Spaten zum Graben zu benutzen. Das derzeitige System, einen Rabbi zu entlohnen, wird durch eine hübsche pilpulistische Haarspalterei gerechtfertigt, durch die Behauptung nämlich, daß die Gemeinde ihn nicht für seine Gelehrsamkeit und sein Wissen bezahlt, sondern für den Verdienstausfall, der ihm entsteht, weil er als Rabbi fungiert und deshalb seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise verdienen kann.»
    «Sag, David, bist du es leid, Rabbi zu sein?»
    «Warum fragst du?»
    «Du bist seit etwa zwanzig Jahren Rabbi. Hättest du einen anderen Beruf ergriffen, wärst du Jurist oder Geschäftsmann geworden, ginge es uns finanziell bestimmt bedeutend besser. Und wenn du jetzt aufgeben würdest, hätte ich immer das Gefühl, daß diese zwanzig Jahre eigentlich umsonst waren.»
    «Nein, Miriam, ich bin es nicht leid, Rabbi zu sein. Alles in allem

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