Einfach bezaubernd
Dieser Fehler hat schon ganze Kontinente in den Untergang getrieben. Überlegen Sie, was das erst bei einem Filmverleihladen anrichten würde.« Sie machte eine auffordernde Geste mit dem Kopf. »Also, warum sind Sie hier?«
»Ihr Geschäftsführer hat versucht, sich aufzuhängen«, sagte Jude.
»Nicht wirklich.« Mare wandte sich wieder den Aufräumarbeiten auf dem Ladentisch zu und bemühte sich sehr, Unbesorgtheit auszustrahlen. »Außerdem habe ich mich darum gekümmert, mit William ist alles in Ordnung, und alles ist unter Kontrolle.«
»Würden Sie mir bitte erklären, was passiert ist?«
Mare seufzte und lehnte sich an den Ladentisch zurück. »Tja, zu meinen Aufgaben gehören die Wochenendvorstellungen, und heute Abend zeigen wir den Fluch des Werhasen , und morgen Abend Der Weiße Hai , und am Sonntag gibt’s dann eine Dreifachvorstellung mit Fluch des Werhasen ‚ Der Weiße Hai und Die Gremlins , und als ich Anfang der Woche die Plakate dafür machte, wollte ich als Motto haben: ›Ihre-Kinder-scheißen-sich-vor-Angst-in-die-Hose-Wochenende‹. Aber William meinte, ich könnte keine Werbung mit dem Wort ›scheißen‹ machen. Also änderte ich es in: ›Ihre-Kinder-klappern-sich-vor-Angst-die-Zähne-aus-dem-Leib-Wochenende‹, mit einem Foto von Kindern mit schwarz angemalten Zähnen, aber William sagte, das wäre zu grausam. Dann änderte ich das in ›Ihre-Kinder-drehen-durch-vor-Angst-Wochenende‹,
mit Fotos von Kindern, die in die Kamera schielen und die Zunge rausstrecken, und da ging William ins Hinterzimmer und versuchte, sich aufzuhängen, und ich fand ihn und schnitt ihn ab. Inzwischen haben wir fast hundert Vorbestellungen für die drei Abende zusammen, und dazu kommen noch all die anderen, die direkt zur Abendkasse gehen. Es wird also wieder mal ein großer Erfolg für das Value Video!! von Salem’s Fork .« Sie strahlte ihn an.
Jude erwiderte das Lächeln nicht. »Wie ich gehört habe, hat er mit Ihnen gesprochen, bevor er sich aufhängte.«
»Na ja, stimmt, aber das war nicht meinetwegen«, wehrte Mare sich und dachte: Und Jesus weinte, was soll das hier werden, das Hängt-Mare-alles-an-Wochenende? »Er hat das Seil schon von zu Hause mitgebracht.«
»Und …« – Jude konsultierte seine Notizen -, »er hinterließ einen Zettel mit ›Der Videoverleih Netflix hat mich dazu getrieben‹ .«
»Wer hat Ihnen von diesem Zettel erzählt?«
»Äh«, machte Jude, und sein Blick glitt zu der Seite hin, wo Dreama Videospiele sortierte und dabei wie ein braves, unschuldiges Schulmädchen wirkte.
Dreama blickte auf und sah, dass er sie betrachtete, und sie errötete.
Verräterin , dachte Mare und wandte sich mit einem Lächeln wieder Jude zu. »Hören Sie, so dramatisch war das wirklich nicht. Das Seil wäre sowieso gerissen. Das war eigentlich mehr ein Faden. Ich halte das Ganze mehr für einen Hilferuf. Netflix bringt ihn wirklich manchmal zur Verzweiflung. Und überhaupt, es ist vorbei, und alles ist weitergegangen …«
»Also haben Sie die ganze Woche über als Geschäftsführerin fungiert.« Jude wandte sich um und ließ den Blick prüfend durch den Laden schweifen. »Und all diese Werbeplakate aufgestellt …«
»Nein, nein. William ist zwar ein wenig gedämpft, aber er hat den Laden selbst gemanagt. Das Werbezeug ist immer meine Aufgabe. Das ist alles ganz normal.«
»Normal heißt, dass Algy seine Lektion in puncto freier Wille bekommt?«
»Ja, und dass Brandon und Katie ihren Liebessessel kriegen, um Wallace und Gromit zu sehen«, betonte Mare. »Und alle sind zufrieden. Null Problemo. Wir sind wieder im normalen Trott. Eigentlich war hier nie was unnormal. Hier geht alles rund um die Uhr seinen normalen Gang.« Sie lächelte so fröhlich, wie sie konnte.
»Ich würde diese Plakate da nicht normal nennen. Unorthodox vielleicht.«
»Sie sagen das, als wäre es etwas Schlechtes.« Mare lächelte ihn noch strahlender an. »Und das ist das Problem, Jude. Die Leute, die die Werbeplakate für Value Video!! entwerfen, haben hölzerne Seelen. Das ist alles 08/15-Verschnitt, Jude, leblos, die haben kein Flair. Aber ich habe Flair.«
Jude blickte sich erneut um. »Tja, Miss O’Brien, da müsste ich Ihnen zustimmen, Sie haben Flair. Allein die Möbel hier …«
»Sind die nicht toll?« Mare legte so viel Begeisterung in ihre Stimme, wie sie aufbringen konnte. »Erstaunlich, was die Leute alles auf die Straße stellen. Ein bisschen Farbe, und schon sieht alles neuer als neu
Weitere Kostenlose Bücher