Einfach ein gutes Leben
eine Annahme, die von psychologischen Untersuchungen gestützt wird. 105
Warum sollte die voll im Paradigma der Leistungsgesellschaft liegende Anforderung der Eigenverantwortung der echten Selbstbestimmung überlegen sein, wie insinuiert wird? In Abwandlung des Beyer-Argumentes zur Muße (siehe oben) kann man wohl eher vom Gegenteil sprechen. Ein selbstbestimmt Handelnder lässt sich mindestens an seiner Zufriedenheit erkennen, die sogenannte Eigenverantwortung führt die Menschen dagegen eher in prekäre Zustände der existenziellen Unsicherheit und psychischen Überforderung.
Es gilt also, für mehr echte Selbstbestimmung anzutreten. Hindernisse, die ihr im Weg liegen, gibt es noch genug. Sie wird – gerade unter den Vorzeichen von Flexibilisierung und Aktivierungspolitik – nicht von allein kommen, auch Modewörter wie »Digitale Bohème« oder »Meconomy« werden sie nicht herbeizaubern. Es ist also gut und richtig, dass die Menschen in diesem Buch sich um sie bemühen.
Das tut Frauke Hehl nach Kräften. Um auch anderen ein wenig mehr Selbstbestimmung in der Arbeit zu ermöglichen hat sie mit einer Gruppe Gleichgesinnter die »workstation Ideenwerkstatt Berlin« gegründet. Dort werden Alternativen zur Erwerbsarbeit gesammelt und entwickelt. Vor allem Arbeitslose sollen eine Chance bekommen, Erwerbsarbeit und ihr Fehlen nicht als Schicksal zu betrachten, sondern aktiver nach guten Alternativen für sie zu suchen. Ermutigung und Aufmerksamkeit für die eigene Handlungskompetenz will die workstation schaffen. »Es geht aber nicht darum, einen neuen Block von fest gefügten Vorstellungen in die Köpfe zu bringen«, sagt Frauke Hehl. »Ich sehe nichts Verwerfliches darin, wenn Leute erst mal Geld verdienen und irgendwie klarkommen wollen. Es geht immer darum, dass Leute die Tragfähigkeit des eigenen Lebens herstellen können.« Die workstation will Tendenzen zur Stigmatisierung Erwerbsloser und die Absurditäten der Arbeitsgesellschaft offenlegen, um so einen langfristigen Bewusstseinswandel zu befördern. Sie setzt an dem zentralen Problem der Arbeitsgesellschaft an: »Bezahlte Arbeit gibt es zwar nicht mehr für alle, aber dennoch entscheidet diese bis heute darüber, ob jemand für die Gesellschaft wertvoll ist oder nicht.« Die workstation setzt einen Kontrapunkt mit Aktionen wie der Kampagne »/unvermittelt«, mit der der Anspruch auf angstfreien Jobverlust,die Praktiken der Arbeitsagentur und ein bedingungsloses Grundeinkommen thematisiert werden. 106
Frauke Hehl würde allerdings auch ohne umfassende Vision und ohne Verein im Rücken weitermachen. Sie hat sich daran gewöhnt, irgendwie durchzukommen und dennoch schöpferisch und initiativ immer neue Facetten eines besseren Lebens auszutesten. Ein bisschen scheint sie diesen Mut bei ihren Mitmenschen zu vermissen.
»Wenn die Leute so viel Energie in einen anderen Lebensweg stecken würden wie in aussichtslose Bewerbungen für Jobs … Da fehlt offensichtlich der Schritt, die Energie woanders zu investieren, die alternativen Vorstellungen auch. Die deutsche Gesellschaft ist enorm vorstellungslos. Wir haben was gelernt, so geht’s und dann macht man das auch. Was da reingesteckt wird, Standards zu erfüllen, um die eigenen Chancen zu erhöhen! Das wird alles unhinterfragt angenommen. Dazu kommt die fehlende Anerkennung für andere Wege. Man muss sich trauen, mal etwas anders zu machen, als ›man das so tut‹.«
Es werden noch viele Ideen kommen, von workstation, den Arbeitssammlern, Mußetuenden, Glücklichen Arbeitslosen. Es wird noch viele Vereine, Initiativen, Visionen, Firmen geben, die alle dieselbe Frage beschäftigt – Arbeit, wohin? Sie eint ein Wunsch: Wir wollen anders arbeiten, soll heißen: Wir wollen selbstbestimmter arbeiten. Wir wollen, dass Arbeit etwas Heilsames, Erfüllendes, Gewolltes, Gebrauchtes, Gesuchtes ist. Sie kann viel mehr sein als das notwendige Übel zwischen neun und fünf.
6 RÄUME ZUM LEBEN
Ein junger Mann im schwarzen T-Shirt, modern-wüstes Blondhaar, er läuft schnell, sprintet fast, er hat nur noch ein kurzes Stück vor sich, gleich wird er die niedrige Mauer erreichen, hinter der der Niedergang zur U-Bahn in die Tiefe führt, er läuft weiter, verzögert trippelnd, springt jetzt, der Fuß berührt nur kurz die Mauerkrone, ein Satz, und er steht auf der gegenüberliegenden Schmalkante, die Treppe hinter sich. Für einen Augenblick nimmt er Maß, dann fällt er vornüber, rollt sich im Gras ab, läuft schon
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