Einfach göttlich
er erwies sich als Verräter«, betonte Vorbis. »Und dafür erhält er nun die gerechte Strafe. Er hat sich geweigert, die Namen der anderen Ketzer zu nennen, und das bedaure ich sehr.«
Fri’it gab sich alle Mühe, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Er hielt Vorbis’ Blick stand.
Stille schloß sich an.
Drunah beendete das Schweigen.
»De Chelonian Mobile«, intonierte er. »›Die Schildkröte bewegt sich.‹ Was bedeutet das?«
»Allein die Antwort genügt, um deine Seele mit tausend Jahren in der Hölle zu bedrohen«, sagte Vorbis. Er sah nach wie vor Fri’it an, der nun an die Wand starrte.
»Vielleicht müssen wir ein derartiges Risiko eingehen«, entgegnete Drunah behutsam.
Vorbis zuckte mit den Schultern. »Der Autor beschreibt eine Welt, die von vier großen Elefanten durch die Leere getragen wird.«
Drunahs Kinnlade klappte nach unten.
»Von vier großen Elefanten?« wiederholte er.
»So heißt es, ja«, bestätigte Vorbis und wandte den Blick nicht von Fri’it ab.
»Und worauf stehen die?«
»Angeblich auf dem Panzer einer gewaltigen Schildkröte«, erklärte Vorbis.
Drunah lächelte nervös.
»Und worauf steht die nun wieder?« fragte er.
»Ich sehe überhaupt keinen Anlaß, darüber zu spekulieren, worauf die Schildkröte steht«, entgegnete Vorbis scharf. »Immerhin existiert sie gar nicht!«
»Natürlich, natürlich«, erwiderte Drunah hastig. »Es war nur dumme Neugier.«
»Neugier ist fast immer dumm«, meinte Vorbis. »Sie verleitet den Geist dazu, über die falschen Dinge nachzudenken. Nun, jener Mann, der dies hier schrieb… Er läuft frei in Ephebe herum, während wir hier sitzen .«
Drunah sah auf die Schriftrolle hinab.
»Er will sich an Bord eines Schiffes befunden haben, das zu einer Insel segelte, und dort bekam er Gelegenheit, über den Rand der Welt zu blicken…«
»Lügen«, sagte Vorbis ruhig. »Und wenn es doch die Wahrheit sein sollte… Daraus ergäbe sich überhaupt kein Unterschied. Die Wahrheit liegt im Innern, nicht im Draußen. Die Wahrheit kommt in den Worten des Großen Gottes Om zum Ausdruck, und Er spricht durch Seine Propheten zu uns. Unsere Augen mögen uns täuschen, aber auf Ihn können wir uns verlassen.«
»Allerdings…«
Vorbis’ Blick kehrte zu Fri’it zurück. Der General schwitzte.
»Ja?«
»Nun… Ephebe. Ein Ort, an dem sich Verrückte verrückten Ideen hingeben. Das ist allgemein bekannt. Vielleicht sollten wir sie in Ruhe lassen, damit sie in ihrer eigenen Torheit schmoren.«
Vorbis schüttelte den Kopf. »Leider haben wilde, destabilisierende Ideen die unangenehme Angewohnheit, ständig umherzustreifen und irgendwo Wurzeln zu schlagen.«
Dem mußte Fri’it zustimmen. Er wußte aus eigener Erfahrung: Wahre Ideen wie zum Beispiel die offensichtliche Weisheit und Allmacht des Großen Gottes Om schienen viele Leute so sehr zu verwirren, daß sie ihren Fehler erst kurz vor dem Tod in der Folterkammer einsahen. Falsche und gefährliche Vorstellungen übten dagegen eine starke Anziehungskraft auf gewisse Personen aus, und die Betreffenden versteckten sich in den Bergen und warfen Steine nach ihren Verfolgern, denen nichts anderes übrigblieb, als sie auszuhungern. Bei diesen Überlegungen rieb sich der General nachdenklich eine Narbe. Seltsam: Solche Leute zogen den Tod der Vernunft vor. Fri’it hatte schon früher erkannt, was Vernunft bedeutete. Er hielt es für vernünftig, nicht zu sterben.
»Was schlägst du vor?« fragte er.
»Das Konzil möchte mit Ephebe verhandeln«, erwiderte Drunah. »Du weißt ja, daß morgen eine Delegation aufbricht.«
»Wie viele Soldaten?« erkundigte sich Vorbis.
»Nur eine Leibgarde«, antwortete Fri’it. »Immerhin hat man uns freies Geleit zugesichert.«
»Man hat uns freies Geleit zugesichert«, sagte Vorbis – es klang wie ein langer Fluch. »Und wenn ihr das Ziel erreicht habt?«
Folgende Bemerkung lag auf Fri’its Zunge: Ich habe mit dem Kommandeur der ephebianischen Garnison gesprochen, und er scheint mir ein ehrenhafter Mann zu sein – obgleich er natürlich ein verabscheuungswürdiger Ungläubiger und daher nicht mehr ist als ein elender Wurm.
Aus irgendeinem Grund hielt er es für unklug, solche Worte an Vorbis zu richten.
Statt dessen sagte der General: »Dann passen wir auf und sind wachsam.«
»Können wir die Ephebianer überraschen?«
Fri’it zögerte. »Wir?«
»Ich führe die Gruppe an«, sagte Vorbis. Er und der Sekretär des Iam-Kongresses
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