Einfach göttlich
wenn ich in der Nähe bin.«
»Ich bin der Große Gott Om«, stellte die Schildkröte in einem drohenden Tonfall fest. Ihre Stimme blieb dabei notgedrungen leise. »Wenn du so weitermachst, bist du bald ein sehr unglücklicher Priester. Jetzt geh und hol den Boß.«
»Novize«, verbesserte Brutha.
»Wie bitte?«
»Es muß ›Novize‹ heißen, nicht ›Priester‹. Man läßt bestimmt nicht zu, wenn du…«
»Du sollst den Boß holen!«
»Ich bezweifle, ob der Zönobiarch jemals den Gemüsegarten aufsucht«, meinte Brutha. »Vermutlich weiß er nicht einmal, was eine Melone ist.«
»Und wenn schon«, kommentierte die Schildkröte. »Es genügt mir, wenn du ihn holst. Andernfalls wird die Erde beben und der Mond so rot sein wie Blut. Dann suchen Rheuma, Furunkel und diverse Krankheiten die Menschheit heim. Ich meine es ernst«, fügte sie hinzu.
»Mal sehen, was ich tun kann.« Brutha wich zurück.
»Und ich bin noch sehr großzügig, wenn man die Umstände bedenkt!« rief ihm die Schildkröte nach.
»Eigentlich singst du gar nicht schlecht«, bemerkte sie kurz darauf.
»Ich habe schlimmere Sänger gehört«, murmelte sie, als Bruthas Kutte im Tor verschwand.
»Dabei fällt mir eine Epidemie in Pseudopolis ein«, sagte der Große Gott Om leise, als das Geräusch der Novizenschritte in der Ferne verhallte. »Was für ein Jammern und Stöhnen und so.« Er seufzte. »Ach, das waren noch Zeiten.«
V iele glauben sich zum Priester berufen, aber in Wirklichkeit hören die betreffenden Leute nur eine innere Stimme, die folgende Botschaft verkündet: »Man hat bei der Arbeit ein Dach über dem Kopf und braucht keine schweren Dinge zu heben. Oder willst du vielleicht Feldarbeiter werden wie dein Vater?«
Brutha hingegen glaubte nicht nur – er glaubte. Für gewöhnlich ist so etwas sehr peinlich, wenn es in einer gottesfürchtigen Familie geschieht, aber Brutha hatte nur seine Großmutter, und die glaubte ebenfalls. Sie glaubte in etwa so, wie Eisen daran glaubt, Metall zu sein. Sie gehörte zu jenen Frauen, die Entsetzen in jedem Priester wecken – derartige Frauen kennen alle Lieder, alle Predigten, meistens sogar auswendig. In der omnianischen Kirche wurden weibliche Gemeindemitglieder im Tempel nur geduldet. Man verlangte absolute Stille von ihnen, und sie mußten, alle Blößen bedeckt, in einem abgetrennten Bereich hinter der Kanzel Platz nehmen. Der Grund dafür: Der Anblick dieser einen Hälfte der menschlichen Spezies führte bei den männlichen Mitgliedern der Gemeinde dazu, daß sie Stimmen hörten – vergleichbar mit denen, die Bruder Nhumrod praktisch rund um die Uhr quälten. Das Problem war: Bruthas Großmutter verfügte über eine Persönlichkeit, die selbst durch eine dicke Bleiwand strahlte, und hinzu kam eine Frömmigkeit mit der Kraft eines Diamantbohrers.
Wenn sie als Mann geboren worden wäre, hätte der Omnianismus seinen 8. Propheten früher als erwartet bekommen. Als Frau begnügte sie sich damit, Reinigungsarbeiten im Tempel zu organisieren, Statuen zu säubern und mutmaßliche Ehebrecherinnen zu steinigen. Bei diesen Aufgaben bewies sie eine geradezu erschreckende Tüchtigkeit.
Brutha wuchs also mit der Gewißheit auf, daß der Große Gott Om existierte. Er wußte die ganze Zeit über, Om beobachtete ihn, insbesondere auf dem Klo und an anderen sehr privaten Orten. Dämonen umgaben ihn von allen Seiten, daran zweifelte er nie, und sie fielen nur deshalb nicht über ihn her, weil sie von der Festigkeit seines Glaubens und Großmutters Stock auf Distanz gehalten wurden. Besagter Stock wartete hinter der Tür auf seinen Einsatz – wenn er nicht gerade dazu benutzt wurde, wozu er eigentlich gemacht worden war, was recht häufig geschah. Brutha kannte alle Verse der insgesamt sieben Bücher der Propheten, außerdem auch jede einzelne Regel. Er war mit den Geboten und Liedern vertraut. Vor allem mit den Geboten.
Die Omnianer waren ein gottesfürchtiges Volk.
Sie hatten eine Menge zu fürchten.
V orbis’ Gemächer befanden sich im oberen Teil der Zitadelle, was für einen Diakon recht unüblich war. Er hatte nicht um eine solche Unterkunft gebeten. Nur selten mußte er um etwas bitten. Meistens erfüllte ihm das Schicksal alle Wünsche.
Einige der mächtigsten Männer in der Kirchenhierarchie besuchten ihn.
Natürlich nicht die sechs Erzpriester oder der Zönobiarch. Ihnen kam keine echte Bedeutung zu. Sie standen einfach nur an der Spitze. Die wahren Schlüsselfiguren
Weitere Kostenlose Bücher