Einfach göttlich
glauben, auf dem Rücken einer Großen Schildkröte zu leben. Nun, sollen sie darauf sterben.«
Brutha sah die Ketten und Fesseln an den Beinen der eisernen Schildkröte. Er stellte sich Männer und Frauen vor, die – unbequem – auf dem metallenen Panzer lagen, alle viere von sich gestreckt.
Er senkte den Kopf ein wenig. Unter der Konstruktion entdeckte er einen Feuerkasten – einige Aspekte der Quisition veränderten sich nie.
Sicher dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis so viel Eisen heiß genug wurde, um Schmerzen zu bereiten. Eine Menge Zeit, um über gewisse Dinge nachzudenken…
»Was hältst du davon?« wiederholte Vorbis.
Vor Bruthas innerem Auge formte sich ein Bild, das ihm die Zukunft zeigte.
»Genial«, sagte er.
»Eine nützliche Lektion für alle anderen, die in Versuchung geraten, den Pfad der Wahrheit zu verlassen«, kommentierte Vorbis.
»Wann willst du hier, äh, den ersten Sünder läutern lassen?«
»Ich weiß es noch nicht«, antwortete Vorbis. »Es ergibt sich bestimmt eine Gelegenheit.«
Brutha spürte einen Blick, der sich ihm wie ein Messer durch die Stirn bohrte und seine Gedanken von der Innenseite des Hinterkopfs kratzte.
»Und jetzt…«, fügte Vorbis hinzu. »Geh bitte. Und ruh dich aus… mein Sohn.«
B rutha schritt langsam über den Platz der Klage und war tief in für ihn ungewohnte Gedanken versunken.
»Guten Tag, Hochwürden.«
»Du weißt schon davon?«
Das-ist-praktisch-geschenkt Schnappler lächelte hinter seinem Stand, hinter dem er lauwarmen eiskalten Sorbett anbot.
»Es ist mir zu Ohren gekommen«, sagte er. »Hier. Klatschianische Zuckerwatte. Am Stiel. Und gratis.«
Auf dem Platz der Klage hatten sich noch mehr Bittsteller eingefunden als sonst. Schnapplers warmes Gebäck verkaufte sich wie warme Semmeln.
»Heute ist hier ziemlich viel los«, murmelte Brutha.
»Wegen der Zeit des Propheten und so«, meinte Schnappler. »Eine gute Gelegenheit für den Großen Gott, sich in der Welt zu zeigen. Und wenn du glaubst, daß jetzt schon viel los wäre… Wart’s nur ab. In ein paar Tagen gibt’s hier nicht mehr genug Platz, um tief Luft zu holen.«
»Was passiert dann?«
»Ist alles mit dir in Ordnung? Bist ein wenig blaß.«
»Was passiert in ein paar Tagen?«
»Die neuen Regeln und Gesetze. Das Buch von Vorbis? Äh…« Schnappler schob sich ein wenig näher an Brutha heran. »Kannst du mir vielleicht einen Tip geben? Hat der Große Gott zufälligerweise davon gesprochen, welche Zukunft die hiesige Lebensmittelindustrie erwartet?«
»Keine Ahnung. Vielleicht würde er den Anbau von mehr Kopfsalat begrüßen.«
»Ach?«
»Ist nur eine Vermutung.«
Schnappler grinste vom einen Ohr bis zum anderen. »Oh, ja, natürlich. Aber die Vermutung kommt von dir. Wie heißt es so schön: Bei einem tauben Kamel ist ein Nicken ebensoviel wert wie ein Schlag mit dem Knüppel. Tja, ich weiß, wo ich mir einige Morgen gut bewässertes Land besorgen kann. Sollte ich jetzt kaufen, bevor die Nachfrage steigt?«
»Kann sicher nicht schaden.«
Schnappler schob sich noch etwas näher heran, und zwar von der Seite her. Das war typisch für ihn. Schnappler ging nie geradeaus, sondern bewegte sich immer von einer Seite zur anderen. In dieser Hinsicht hätte er es mit jeder Krabbe aufnehmen können.
»Komische Sache«, sagte er leise. »Ich meine… Vorbis?«
»Komisch?« erwiderte Brutha.
»Gibt einem zu denken. Selbst Ossory muß ein ganz gewöhnlicher Mensch gewesen sein, der wie du und ich umherging. Er hatte Schmalz in den Ohren, wie alle anderen Leute. Tja, komische Sache.«
»Was?«
»Alles.«
Schnappler bedachte Brutha mit einem verschwörerischen Lächeln, wandte sich dann einem fußmüden Pilger zu und verkaufte ihm ein Stück Kuchen. Der arme Kerl biß hinein und hatte Mühe, die Zähne wieder daraus zu lösen.
Brutha kehrte zum Schlafsaal zurück. Um diese Zeit des Tages hielt sich dort niemand auf. Der Grund: Man riet den Novizen davon ab, tagsüber im Schlafsaal zu weilen – einige Novizenmeister befürchteten, daß die steinharten Matratzen sündige Gedanken stimulieren mochten.
Die wenigen Besitztümer Bruthas waren aus dem Regal neben dem Bett verschwunden. Wahrscheinlich stand ihm als Erzbischof irgendwo ein eigenes Zimmer zur Verfügung, obwohl ihn niemand darauf hingewiesen hatte.
Brutha fühlte sich einsam und verwirrt.
Er streckte sich auf dem Bett aus und betete zu Om. Eine Antwort blieb aus. Nun, er hatte praktisch nie Antwort bekommen
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