Einfach göttlich
innen aufschwang.
Vorbis stand auf der Schwelle. Im flackernden Schein der Öllampe zeigte sein Gesicht höfliche Besorgnis.
»Entschuldige bitte die späte Störung«, sagte er. »Aber ich dachte, wir sollten über die morgen beginnende Mission sprechen.«
Fri’it ließ das Schwert fallen.
»Stimmt was nicht, Bruder?« fragte Vorbis.
Der Exquisitor lächelte und betrat den Raum. Zwei Kapuzenumhänge tragende Inquisitoren folgten ihm.
»Bruder«, sagte Vorbis noch einmal und schloß die Tür.
» W ie ist es da drin?« fragte Brutha.
»Ich klappere wie eine Erbse im Topf«, grummelte die Schildkröte.
»Ich könnte ein bißchen Stroh hineinstopfen. Und ich habe das hier.«
Grünes Zeug fiel auf Oms Kopf.
»Aus der Küche«, sagte Brutha. »Schalen und Kohl. Hab’s gestohlen«, fügte er hinzu. »Andererseits… Von einem Diebstahl in dem Sinne kann eigentlich gar nicht die Rede sein. Immerhin ist es für dich.«
Der alles andere als angenehme Geruch halb verfaulter Blätter wies darauf hin, daß Brutha sein Verbrechen verübt hatte, während das Diebesgut auf halbem Wege zum Misthaufen gewesen war. Om verzichtete auf eine entsprechende Bemerkung. Er hielt sie – zumindest derzeit – für unangemessen.
»Hm, ja«, brummte er nur.
Es muß noch andere Gläubige geben, dachte er. Ja, ganz bestimmt Draußen, außerhalb der Stadt. Hier im Bereich der Zitadelle war alles zu sehr… Routine.
Aber die Pilger vor dem Tempel… Sie stammten aus den ländlichen Provinzen. Und bei ihnen handelte es sich um die Frommsten der Frommen. Ganze Dorfgemeinschaften hatten ihre Ersparnisse zusammengelegt, damit eine Person bis zur fernen Hauptstadt reisen konnte, um dem Gott dort ein Anliegen vorzutragen. Trotzdem: In keinem von ihnen loderte die Flamme.
Die Bittsteller steckten voller Furcht, Angst, Sehnsucht und Hoffnung – solche Gefühle besaßen eine klar ausgeprägte Struktur und ließen sich deutlich voneinander unterscheiden. Doch das Feuer wahren Glaubens fehlte.
Der Adler hatte die Schildkröte in Bruthas Nähe fallen gelassen. Woraufhin Om… erwachte. Er entsann sich vage daran, ein Reptil gewesen zu sein. Nun erinnerte er sich daran, daß er früher als Gott geherrscht hatte. Wie groß durfte die Entfernung zu Brutha werden, um diese Erinnerungen nicht in Gefahr zu bringen? Ein Kilometer? Zehn? Fünfzehn? Wie mochte es sich anfühlen, wenn das Wissen versickerte, wenn eine Leere entstand, die das rudimentäre Selbst der Schildkröte nicht füllen konnte? Vielleicht blieb ein Teil von ihm zurück, ein Ich-Splitter, der sich entsann, für immer in Hoffnungslosigkeit gefangen…
Om schauderte.
Nun befand er sich in einem Bastkorb, der an Bruthas Schulter hing. Der Aufenthalt in einem solchen Behälter wäre in jedem Fall unbequem gewesen, aber die morgendliche Kühle veranlaßte den Jungen, immer wieder von einem Bein aufs andere zu treten – dadurch rutschte Om von einer Seite zur anderen.
Nach einer Weile kamen einige Stallburschen der Zitadelle mit Pferden an. Sie bedachten Brutha mit neugierigen Blicken, und dem Novizen fiel nichts Besseres ein, als immer wieder zu lächeln.
Hunger plagte ihn, aber er wagte es nicht, seinen Posten zu verlassen. Immerhin hatte ihn der oberste Exquisitor aufgefordert, er solle an diesem Ort warten. Nach einer Weile erklangen Geräusche, woraufhin sich Brutha einige Meter weit an der Mauer entlangschob und einen Blick um die Ecke warf.
Der Hof war hier U-förmig, schmiegte sich an einen Flügel des Zitadellenkomplexes. Jenseits der Ecke erweckte alles den Anschein, als träfe eine zweite Gruppe Vorbereitungen zum Aufbruch.
Brutha kannte Kamele. Im Dorf seiner Großmutter hatte es auch welche gegeben – zwei, um ganz genau zu sein. Hier waren es Hunderte. Sie blökten wie Dutzende von schlecht geölten Pumpen und rochen wie tausend feuchte Teppiche. In Djeliba gekleidete Männer schritten zwischen ihnen hin und her und schlugen gelegentlich mit einem Stock zu – alle Fachleute vertraten die Ansicht, das sei die beste Methode für den Umgang mit Kamelen.
Brutha schlenderte zum nächsten Tier. Ein Mann band ihm gerade einige Feldflaschen auf den Rücken.
»Guten Morgen, Bruder«, lautete der Gruß des Novizen.
»Hau ab«, knurrte der Mann, ohne sich umzudrehen.
»In Kapitel XXV, Vers 6 warnt uns der Prophet Abbys: ›Wehe dem, der seinen Mund beschmutzt mit Flüchen, denn die Worte sollen sein wie Staub‹«, intonierte Brutha.
»Ach, tatsächlich?«
Weitere Kostenlose Bücher