Einfach göttlich
gewährt ihnen so große Freiheit, weil die hundertste Idee Spitze ist«, sagte Om.
»Wie bitte?«
»Sieh dir den höchsten Turm auf dem Gipfel des Berges an.«
Brutha spähte in die gezeigte Richtung. Oben auf dem Turm bemerkte er ein glänzendes, schlüsselförmiges Objekt, das mit Hilfe mehrerer dicker Metallstreben verankert war.
»Was ist das?« flüsterte er.
»Der Grund dafür, warum Omnien keine Flotte mehr hat«, sagte Om. »Deshalb lohnt es sich, immer einige Philosophen in der Nähe zu haben. In der einen Minute heißt es ›Ist Wahrheit schön?‹ und ›Ist Schönheit wahr?‹ und ›Verursacht ein umstürzender Baum im Wald Geräusche, wenn niemand zugegen ist, um etwas zu hören?‹ Tja, und wenn man schon glaubt, daß die Burschen gleich zu sabbern anfangen, sagt einer von ihnen: ›Übrigens, wir könnten die optischen Prinzipien gut veranschaulichen, indem wir einen neun Meter durchmessenden Parabolspiegel an einem hohen Ort installieren und feindliche Schiffe mit gebündelten Sonnenstrahlen beschießen.‹ Philosophen haben immer wieder erstaunliche Einfälle. Vor der Sache mit dem Spiegel kam jemand auf die Idee, das Hebelprinzip mit einem Mechanismus zu demonstrieren, der Kugeln aus brennendem Schwefel drei Kilometer weit schleudern konnte. Und davor wurde ein Unterwasser-Etwas konstruiert, das zugespitzte Pfähle in Schiffsrümpfe feuerte.«
Brutha beobachtete die ferne Schüssel. Von den Ausführungen der Schildkröte hatte er nicht mehr als ein Drittel verstanden.
»Nun, kracht es oder nicht?«
»Was soll krachen?«
»Der im Wald umstürzende Baum. Verursacht er Geräusche oder nicht?«
»Wen kümmert’s?«
Die Gruppe erreichte nun ein Tor in einer Mauer, die den oberen Bereich des Berges ebenso umgab wie ein Stirnband den Kopf. Der ephebianische Hauptmann blieb stehen und drehte sich um.
»Den… Besuchern… werden jetzt die Augen verbunden«, sagte er.
»Das ist unerhört!« erwiderte Vorbis. »Eine diplomatische Mission führt uns hierher!«
»Und wenn schon«, brummte der Hauptmann. »Meine Befehle lauten: Wer dieses Tor durchschreitet, muß eine Augenbinde tragen. Wer sich die Augen nicht verbinden lassen möchte, bleibt hier draußen. Die Entscheidung liegt ganz bei euch.«
Einer der Subdiakone flüsterte dem Exquisitor etwas ins Ohr. Vorbis nickte kurz und flüsterte mit dem Anführer der omnianischen Gardisten.
»Na schön«, sagte er schließlich. »Wir fügen uns – unter Protest.«
Die Augenbinden waren weich und absolut undurchsichtig. Als man Brutha durchs Tor führte…
… zehn Schritte geradeaus, dann fünf nach links, dann schräg nach vorn und dreieinhalb Schritte nach links, und hundertdrei Schritte nach rechts, drei nach unten, dann siebzehn und ein Viertel Mal um die eigene Achse drehen, neun Schritte nach vorn, einen nach links, neunzehn Schritte nach vorn und zwei nach links, dreieinhalbmal drehen, eine Sekunde warten, drei Stufen nach oben, zwanzig Schritte nach rechts, fünf und ein Viertel Mal drehen, fünfzehn Schritte nach links, sieben Schritte nach vorn, achtzehn Schritte nach rechts, sieben Stufen nach oben, schräg nach vorn, zwei Sekunden warten, vier Schritte nach rechts, einen Hang hinab (der Höhenunterschied betrug einen Meter alle zehn Schritte), und zwar dreißig Schritte weit und sechs Schritte nach vorn…
…fragte er sich, welchen Zweck die Binden erfüllten.
Auf einem offenen Hof nahm man ihm das Tuch von den Augen. Weiße Mauern reflektierten blendend hell den Sonnenschein, und Brutha blinzelte.
Bogenschützen standen an den Wänden. Die Pfeilspitzen zeigten nach unten, aber irgend etwas an ihnen deutete darauf hin, daß sie praktisch von einem Augenblick zum anderen eine waagerechte Ausrichtung gewinnen konnten.
Ein kahlköpfiger Mann erwartete sie. In Ephebe schien es einen unbegrenzten Vorrat an dürren, haarlosen Männern zu geben, die als Kleidung Bettlaken bevorzugten. Dieser lächelte, allerdings nur mit dem Mund.
Hier mag man uns nicht sehr, dachte Brutha.
»Bitte verzeiht die Unannehmlichkeiten«, begann der Dürre. »Ich bin Aristokrates, Sekretär des Tyrannen. Bitte sag deinen Männern, daß sie die Waffen ablegen sollen.«
Vorbis richtete sich zu seiner vollen Größe auf – er war etwa einen Kopf größer als der Ephebianer. Die Wangen des Exquisitors enthielten ohnehin kaum Farbe, doch jetzt wirkten sie fast ebenso weiß wie die Mauern.
»Wir haben das Recht, unsere Waffen zu behalten!« zischte er. »Wir
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