Einfach göttlich
irgendeine Aufgabe für mich.«
»Du machst nur einen kleinen Spaziergang. Das ist überhaupt kein Problem. Und beeil dich. Es gibt auch noch andere Götter in Ephebe, und in meinem gegenwärtigen Zustand möchte ich ihnen nicht begegnen.«
Auf Bruthas Gesicht machte sich Verwirrung breit.
»Wie soll ich einen Philosophen finden?« fragte er.
»Hier? Wirf einfach einen Ziegelstein – das ›Au!‹ stammt sicher von einem professionellen Denker.«
D as Labyrinth von Ephebe ist uralt und ein gutes Beispiel für die vielen Verwendungsmöglichkeiten von verborgenen Federn, rasiermesserscharfen Messern und herabfallenden Felsblöcken. Man braucht nicht nur einen Führer, um es zu durchqueren, sondern sechs. In jedem Jahr findet ein spezieller Wettkampf statt, der Veränderungen des allgemeinen Designs betrifft. Dann versuchen die verschiedenen Sektoren, ihre Bereiche noch gefährlicher zu gestalten. Preisrichter beurteilen die einzelnen Leistungen, und es gibt hochdotierte Auszeichnungen für die Sieger.
Ohne Führer war im Labyrinth nie jemand weiter gekommen als neunzehn Schritte. Nun, mehr oder weniger. Der Kopf des Betreffenden blieb erst nach vier oder fünf zusätzlichen Metern liegen, aber das zählt vermutlich nicht.
An jedem Übergangspunkt gibt es eine Kammer, die überhaupt keine Fallen enthält, nur eine kleine Glocke aus Bronze. Es handelt sich um Wartezimmer, wo Besucher von einem Führer an den nächsten überantwortet werden. Hier und dort gibt es Fenster in der hohen Decke, meistens über den besonders phantasievoll konstruierten Fallen – die Wächter lachen ebenso gern wie andere Leute.
Von alldem wußte Brutha nichts, als er durch die Tunnel und Korridore schlenderte, ohne einen einzigen Gedanken an die Gefährlichkeit der Umgebung zu vergeuden. Nach einer Weile öffnete er das letzte Tor, und kühle Abendluft wehte ihm entgegen.
Sie roch nach Blumen. Motten schwirrten durchs Halbdunkel.
»Wie sehen Philosophen aus?« fragte Brutha. »Wenn sie nicht gerade baden, meine ich.«
»Sie denken viel«, antwortete Om. »Halt nach jemandem mit verkniffenem Gesicht Ausschau.«
»Ein verkniffenes Gesicht könnte auch auf Verstopfung hindeuten.«
»Nun, wenn die Betreffenden einem solchen Problem philosophisch begegnen…«
Brutha und Om waren mitten in der Stadt. Hunde bellten. Irgendwo miaute eine Katze. Hinzu kamen andere Geräusche, die darauf hinwiesen, daß Menschen fleißig damit beschäftigt waren, ihr Leben zu leben.
Eine Tür sprang auf, und es klirrte laut. Es hörte sich an wie eine recht große und leere Weinamphore, die auf einem Kopf zerbrach.
Ein dürrer Ast, gekleidet in eine Toga, fiel aufs Kopfsteinpflaster, stand wieder auf und starrte wütend zum Eingang.
»Jetzt hört mal, ich stehe nach wie vor auf dem Standpunkt, daß ein endlicher Intellekt nicht durch Vergleiche die absolute Wahrheit erreichen kann, denn die Wahrheit ist von Natur aus unteilbar, was bedeutet, daß sie sich Konzepten wie ›mehr‹ und ›weniger‹ entzieht, woraus folgt, allein die Wahrheit mag als exakter Maßstab für die Wahrheit dienen.« Die Gestalt legte eine kurze Pause ein, vor allem, weil sie Luft holen mußte. »Ihr Mistkerle«, fügte sie hinzu.
»Ach?« ertönte es aus dem Gebäude. »Gleichfalls.«
Der Alte ignorierte Brutha, löste mit nicht unbeträchtlicher Mühe einen Stein aus dem Pflaster und hielt ihn in der einen Hand.
Dann nahm er Anlauf und stürmte durch die Tür. Ein zorniger Schrei ertönte.
»Ach, Philosophie«, sagte Om.
Brutha spähte vorsichtig durch den Zugang.
In dem Raum versuchten zwei Gruppen fast identisch gekleideter Männer, die beiden Streithähne voneinander zu trennen. Solche Szenen wiederholen sich an jedem Tag millionenfach in den Bars und Kneipen des Multiversums: Die beiden Gegner knurrten, schnitten Grimassen und versuchten, sich aus den Griffen der Freunde zu lösen. Allerdings versuchten sie es nicht zu sehr, denn sonst bestand die Gefahr, daß sie Erfolg hatten und womöglich gegen jemanden antreten mußten, der wirklich entschlossen war, ihnen die Nase nach innen zu rammen.
»Ja, genau«, meinte Om. »Typisch Philosophie.«
»Die Leute kämpfen!«
»Sie tauschen frei und ungezwungen ihre Meinungen aus, ja.«
Brutha sah genauer hin und erkannte den einen oder anderen Unterschied zwischen den Männern. Jemand hatte einen kürzeren Bart, und die Wangen des Betreffenden glühten, als er vorwurfsvoll den Zeigefinger hob.
»Er hat mir
Weitere Kostenlose Bücher