Einmal Hochzeit und zurück
Augen. Ich sah hundemüde aus. Und meine Zähne wirkten irgendwie gelber. Aber komischerweise war ich sehr froh, dass ich mir aus dem Spiegel entgegenblickte. Das war ... das war ich. Nicht ein unfertiges Ich, vom Leben noch nicht gezeichnet. Sondern ein Ich, das ich froh war wiederzusehen. Ein Ich, das eindeutig viel gelacht hatte im Leben. Ein Ich, das seine Locken gebändigt hatte. Ich hob einen Arm und spürte das entmutigende Wabbeln. Aber trotzdem: Man sehe sich nur mal meine hübschen, runden Brüste an, die sich unter dem gut geschnittenen Karen-Millen-Anzug wölbten. Ich sah ganz ansehnlich aus. Nein, ich sah sogar richtig gut aus. Ich hatte mich gut gehalten. Ganz ehrlich, ich fand, ich sah besser aus als je zuvor im Leben. Was für eine Energieverschwendung, mir Sorgen zu machen, wenn ich wieder älter wäre, sähe ich wie eine verschrumpelte Knusperhexe aus.
Plötzlich bekam ich erneut heftiges Herzklopfen. O mein Gott, meine arme Mutter. Ich hatte meiner Mutter mit dem Glück vor der Nase herumgewedelt, nur um es ihr dann wieder zu entreißen. Ich schluckte ein paar Tränen herunter. Aber das war doch nicht die richtige Welt für mich gewesen, oder? Oder doch? Von jetzt an, nahm ich mir vor, würde ich immer ganz, ganz lieb zu ihr sein ...
»Flora?« Die Stimme meiner Mutter.
»Ja?«
»Nichts, du warst bloß eben ein bisschen blass um die Nase, und dein Dad und ich wollten wissen, ob es dir auch gut geht.«
Sie kam herein. Ich starrte sie ungläubig an. War das wirklich meine Mum? Sie war auch wieder älter, aber anders als vorher. Ganz anders. Ihre Haare waren hübsch frisiert, und sie war gepflegt und wohlgeformt, nicht so furchtbar vornübergebeugt und verhärmt. Sie trug ihren Ehering.
»MUM!« Ich brach in Tränen aus und fiel ihr um den Hals.
»Na, na«, murmelte sie. »Du hast dich so tapfer gehalten und getan, als mache es dir gar nichts aus, dass deine beste Freundin deinen Exfreund heiratet, aber ich habe mir schon gedacht, dass es nicht so leicht sein würde ...«
»Es macht mir wirklich nichts aus«, erklärte ich aufrichtig. »Ich freue mich für die beiden, wirklich.«
»Keine Sorge«, versicherte sie mir. »Du bist bestimmt die Nächste.«
»Das sagst du jedes Mal«, entgegnete ich.
»Na ja, dein Dad und ich, wir wollen eben immer nur dein Bestes. Komm mit raus, er macht sich sicher schon Sorgen, und das wollen wir doch nicht, oder?«
»Nein«, sagte ich. Wie ein kleines Kind ließ ich mich von ihr aus dem Badezimmer führen.
»Hey, Mäuschen«, rief mein Dad, rundlicher und fröhlicher denn je. »Wo sind meine beiden schönsten Mädels, hm?«
Meine Mutter versetzte ihm einen spielerischen Klaps.
Dann wurden sie von Olly unterbrochen, der herüberkam und mich wie ein Bär umarmte.
»Du«, flüsterte er mir ins Ohr, mit vor Rührung fast erstickter Stimme, »bist die beste Mutantin der ganzen Welt.«
»Ja, ja«, knurrte ich.
»Und du bist nicht sauer auf uns? Nicht dass ... ich meine, ich hatte wirklich keine Ahnung, dass so was passieren würde.«
Ich grinste so breit, dass mir das Gesicht wehtat. »Es war einfach so ein verrückter Monat. Und das gleich zweimal hintereinander. Ach Olly, ich freue mich ja so. Ich bin so ... ich hatte ja keinen Schimmer, dass ihr beide euch verliebt habt.«
»Das kommt daher, dass du so eine egozentrische Teenie-Ziege warst«, grinste Olly.
»Ach ja.«
»Und ich bin der glücklichste Mann der Welt«, erklärte Olly. Dann umarmte er meine Mutter. »Mrs. Scurrison, Sie sehen wie immer bezaubernd aus.«
»Ach, hör doch auf«, rief meine Mutter. »Und du behandelst diese junge Lady gefälligst genauso gut, wie du Flora immer behandelt hast, ist das klar?«
Woraufhin wir alle ein bisschen ernster wurden.
»Ich werde mir Mühe geben«, versprach Olly.
»Du machst das schon«, sagte ich aufmunternd.
»Geh doch mal zu ihr«, sagte Olly. »Sie ist in Tränen aufgelöst und isst Torte. Freudentränen, versteht sich.«
»Sie hat seit sechs Monaten nichts mehr gegessen«, erwiderte ich. »Die Torte kommt vermutlich gerade noch rechtzeitig.«
»Geh schon.«
»Einen Moment«, entgegnete ich. »Es gibt da noch jemanden, mit dem ich reden muss.«
Als ich mich umdrehte und ging, hörte ich gerade noch, wie Olly den Gästen verkündete: »Meine Frau und ich ...«
So unauffällig ich konnte schlüpfte ich durch die Terrassentür nach draußen. Und da war er. Lag schlafend neben dem Springbrunnen im Gras. Immer noch wunderschön und, Mannomann,
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