Einmal rund ums Glück
Trümmer von Wills zerstörtem Wagen – und da! Ein Bild von ihm und Laura, beide aufgestylt für irgendeine Veranstaltung. Ich halte mir die Seite nah vors Gesicht und studiere sie, bemühe mich, Laura an Wills Seite zu ignorieren. Mal ist er mir irgendwie vertraut, dann wieder nicht. Irgendwie fangen die Bilder nicht ein, wie er wirklich war.
»Daisy?«, unterbricht Holly meine Gedanken. Ich schaue sie an, Tränen laufen mir über die Wangen. Und dann erinnere ich mich an etwas anderes. An Luis. An Luis, der vor dem Rennen wütend zu Will hinüberging.
Was hat er zu ihm gesagt? Ich muss es wissen. Dann kommt mir noch eine andere Idee.
»Luis nimmt mich mit.« Ich springe auf und hole das Handy aus meiner Tasche.
»Daisy, was soll das heißen: Luis nimmt dich mit?«
»Luis nimmt mich mit. Er kann so tun, als wäre ich seine Freundin. Ist mir scheißegal, aber ich werde zu dieser Beerdigung gehen!«
Das Telefon klingelt ewig, dann nimmt er endlich ab.
»Hi, Luis, hier ist Daisy.«
»Hallo!« Er scheint sich zu wundern, von mir zu hören.
»Wann fährst du zu Wills Beerdigung?«
»Ähm, sie beginnt um zwei Uhr, das heißt, wir fahren in einer Stunde los, denke ich. Warum?«
»Du musst mich mitnehmen.«
»Aber ich, ich meine wir … es ist nicht genug Platz in Simons Wagen.«
»Du hast doch auch ein Auto, oder?«
»Ja …«
»Dann fahr damit.«
»Daisy«, sagt er vernünftig, »hast du dir das auch genau überlegt?« Holly neben mir ist angespannt. »Laura … Wills Eltern … Findest du, das ist angemessen –«
»Luis«, unterbreche ich ihn mit stählerner Stimme, »wenn du mich nicht zu seiner Beerdigung mitnimmst, will ich dich nie mehr wiedersehen.«
Eine Weile schweigt er, dann sagt er: »Wo wohnst du?«
Bis zu dem Moment, als die Klingel geht, versucht Holly, mir meinen Plan auszureden. Ich ignoriere sie, ziehe ein schwarzes Kleid an und bürste mir das Haar. Ich trage es offen, so wie Will es mochte. Ich mache mir nicht die Mühe, mich zu schminken.
Ich bringe ein knappes »Danke« für Luis heraus, als ich an die Tür komme, aber ich kann ihm nicht in die Augen sehen und hoffe, dass es fürs Erste reicht, um meiner Dankbarkeit Ausdruck zu geben. Auf der Fahrt nach Cambridge sprechen wir kaum ein Wort. Ich weiß, dass wir eigentlich viel zu sagen hätten – ich habe noch viele unbeantwortete Fragen im Kopf –, aber das kann warten. Im Moment muss ich mich auf die vor mir liegende Aufgabe konzentrieren.
Die Beerdigung findet in einer der großen Universitätskirchen statt, und so weit ich sehen kann, hatte Will
jede Menge
sogenannter enger Freunde und Verwandte.
Ich entdecke Simon, Catalina, die technischen Direktoren und den Finanzvorstand des Teams mit ihren Frauen, außerdem mehrere wichtige Sponsoren. Sie stehen zusammen in einer Gruppe auf dem Weg neben dem Kircheneingang, doch Luis hält Distanz zu ihnen und wartet, bis sich die Kirche gefüllt hat, ehe er mich in eine Bank weit hinten lotst. Ich streite nicht mit ihm. Ich werde keine Szene machen.
Es ist ein völlig surreales Gefühl. Es kommt mir vor, als befände ich mich im Körper eines anderen Menschen, als spürte ich die Empfindungen eines Fremden. Ich nehme kaum wahr, was geschieht. Vorn in der Kirche steht der Sarg, bedeckt mit weißen Blumen. Darin ist Wills toter Körper.
Wills Leichnam liegt darin! O mein Gott, Will ist tot! Meine Kehle schnürt sich zusammen. Ich lege die Hand auf die Brust, um mich zu beruhigen. Luis schaut besorgt zu mir herüber. Der Priester beginnt mit dem Gottesdienst. Ich versuche dem zuzuhören, was er sagt, höre erstickte Schluchzer durch die Kirche hallen. Die Geräusche des Leids anderer Menschen beruhigen mich sonderbarerweise, und wenn ich nicht daran denke, aus welchem Grund sie weinen, kann ich das Ganze vielleicht so gerade überstehen.
Ein blonder Mann von Anfang dreißig steht auf und übernimmt die Lesung. Er kommt mir irgendwie bekannt vor.
»Ist das Wills Bruder?«, frage ich Luis. Er nickt. Der Priester muss ihn eben vorgestellt haben, ich habe nicht zugehört. Ich bekomme nicht mit, was er sagt, sondern recke den Hals, um nach vorne zu sehen. Da sitzt ein kleines Mädchen in der zweiten Reihe. Ist das Wills Nichte? Die so gerne
In the Night Garden
schaut?
»Warum sind Wills Geschwister nicht zu seinen Rennen gekommen?«, frage ich Luis.
Er zuckt mit den Achseln.
»Deine Familie ist gekommen. Warum Wills nicht?« Ich ignoriere die bösen Blicke der anderen
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