Einmal rund ums Glück
entdeckt, flackern seine Augen kurz auf. Dann werden sie wieder hart, und meine Mutter beobachtet uns nervös.
»Daisy, komm herein. Setz dich!«, sagt mein Vater.
Meine Mutter steht auf.
»Setz dich, Christine.« Eigentlich heißt meine Mutter Cristina, wie ich mit elf Jahren herausfand. Doch mein Vater benutzt immer die englische Form ihres Namens.
»Ich wollte Candida gerade bitten, Daisy etwas zum Abendessen zu machen.«
»Ich habe keinen Hung…«, wende ich ein, doch mein Vater unterbricht mich.
» CANDIDA !«, ruft er. Die Köchin kommt herbeigerannt. »Bringen Sie was für Daisy!«
»Ja, Sir.« Sie eilt davon. Ich ziehe einen Stuhl unter dem Tisch hervor. Auf jeder Seite stehen sechs, ich kann also nicht genau in der Mitte zwischen meinen Eltern sitzen. So wähle ich einen Stuhl zwei Plätze von meinem Vater und drei von meiner Mutter entfernt. Ich weiß nicht, warum ich mich entscheide, näher bei ihm zu sitzen, nehme aber an, dass ich mich irgendwie immer noch zu ihm hingezogen fühle.
»Du musst mal zum Frisör«, sagt mein Vater.
Ich habe das Haar nicht hochgesteckt, es fällt mir auf den Rücken. Ich sage nichts dazu.
Mein Vater ist Ende fünfzig, hat silbergraues Haar und graue Augen. Man sieht ihn nur selten ohne Anzug.
»Und du musst neue Sachen haben«, fügt mein Vater hinzu, als er meinen grünen Lieblingspulli sieht – der, den ich trug, als Will sich in mich verliebte. Nein, nein, nein, bloß nicht an ihn denken …
Ich reiße mich zusammen. »Ich habe genug Sachen, danke«, erwidere ich genervt.
»Das stimmt leider nicht«, sagt er, schneidet eine Möhre durch und spießt ein Stück auf die Gabel.
»Woher willst du wissen, wie viele Sachen ich habe?« Die aufsässige Jugendliche in mir erhebt wieder ihr böses Haupt.
»Die Angestellten haben mich davon unterrichtet.« Er führt die Gabel zum Mund, kaut und sieht mir dabei ruhig und kühl in die Augen.
Ich wende den Blick ab. Klar, haben sie das.
Candida bringt mein Essen. »Vielen Dank«, sage ich freundlich zu ihr, als sie den Teller vor mich auf den Tisch stellt. Sie eilt davon, ohne meinen Dank wahrzunehmen. Mutig sehe ich meinem Vater ins Gesicht. »Ich habe noch einen ganzen Schrank voller Klamotten, die ich hier gelassen habe.« Meine Stimme klingt bockig.
»Die kannst du nicht anziehen.«
»Warum nicht? Die Sachen sind höchstens drei Jahre alt.«
»Eben. Was sollen die Leute denken?«
Ich unterdrücke ein Seufzen. Es ist sinnlos. Er bekommt immer seinen Willen, es ist reine Zeitverschwendung, sich mit ihm zu streiten. Tatsächlich war mein Umzug nach L.A. wohl das einzige Mal, als er sich nicht durchsetzen konnte. Muss ein ganz schöner Schock für ihn gewesen sein …
»Hast du noch Geld auf deinem Bankkonto?«
Ich nehme an, dass er die zehn Millionen meint. Wahrscheinlich glaubt er, ich sei nach Hause gekommen, um sie wieder aufzufüllen. Ich sage nichts, sondern nicke nur.
»Lass es da. Red mit Martin darüber. Er kümmert sich darum.«
Martin ist der Anwalt und die rechte Hand meines Vaters. Praktisch gehört er zur Familie. Nur ich kann ihn nicht ausstehen, weil er anfing, mir schöne Augen zu machen, als ich dreizehn war. Er ist dick, glatzköpfig, ekelhaft. Ich erschaudere bei der Erinnerung, dass er der erste Mensch war, der mich auf meine Brüste ansprach.
»
Vielleicht muss ich deinem Daddy mal sagen, dass er dir Geld für einen
BH
und ein paar kleine Höschen gibt …
«
Als mein Vater Messer und Gabel auf dem Teller ablegt, komme ich in die Gegenwart zurück. Er steht auf.
»Willst du keinen Nachtisch?«, fragt meine Mutter nervös.
»Nein«, erwidert mein Vater barsch. Er schaut auf mich hinab. Ich halte beim Kauen meines Filetsteaks inne. »Ich muss morgen früh aufstehen.«
»Aha«, sage ich mit vollem Mund.
»Gute Nacht.« Er spaziert aus dem Zimmer.
Keine Fragen danach, was ich in den letzten Jahren gearbeitet habe, was ich so getrieben habe, wie es mir geht … Aber wahrscheinlich weiß er das alles schon. Wie ich meinen Vater kenne, ist es möglich, dass seine Lakaien mich durchgängig im Visier hatten, seit ich New York verließ.
Schweigend beenden meine Mutter und ich die Mahlzeit, danach sage ich ihr, ich wolle nach draußen, frische Luft schnappen. Sie möchte, dass mich ein Wachmann unseres Personals begleitet, doch ich verdrücke mich schnell, so dass sie keine Zeit hat, meine Bewachung in die Wege zu leiten. Ich weiß, dass sie sich die größten Sorgen darum macht, was
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