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Einsam, zweisam, dreisam

Einsam, zweisam, dreisam

Titel: Einsam, zweisam, dreisam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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anvertrauen. Sie zwickt ihn in den Hals.
    «Aiii», schreit er.
    «Psst, wir fliegen noch raus hier.»
    Tatsächlich ernten sie unten in der Halle einen mißbilligenden Blick der Conciérge.
    «Ouh riwoargh», sagt Sig in bestem Amerikano-französisch, das er zustande bringt, und sie schieben sich gegenseitig kichernd durch die Drehtür. Wie zwei Ausrücker im Schullandheim.
    Sofort findet Regina eine Metrostation.
    «Die kann ich riechen», sagt sie.
    Sie weiß auch, wo man umsteigen muß, und nach kurzer Zeit sind sie da, wo Regina hinwollte. Rue Mouffetard.
    «Du kennst dich aus hier.» Sig ist staunend neben ihr hergegangen und weiß nicht so recht, wie ihm geschieht. In Paris zu sein, ist eine Sensation.
    Regina führt ihn in eins der zahllosen kleinen Restaurants, die links und rechts die Straße säumen. Etwas anderes als Restaurants scheint es in der Rue Mouffetard nicht zu geben.
    Es dämmert gerade erst, und die meisten Restaurants sind noch recht leer. Nur in wenigen sieht man schon Betrieb durch die Schaufensterscheibe.
    Auf der Karte stehen nur Vorspeisen und Fondues. Sig bestellt ein Fondue mit Salat. Die Preise erscheinen ihm ziemlich hoch, aber er ist sich nicht sicher, ob er richtig umrechnet. Regina bestellt dasselbe und eine Flasche Languedoc.
    «Ich kann’s gar nicht glauben», sagt Sig.
    «Was?»
    «Daß ich in Paris bin.»
    Schon immer wollte er hierher, aber bis jetzt hat er es nie geschafft. Es blieb ein Traum. Manchmal hat er sogar Möglichkeiten ausgeschlagen, hat Paris verschoben, weil es ihm zu großartig schien.
    «Kennst du das», fragt er, «daß man etwas so großartig findet, daß man es nicht will, aus Angst, es könnte nicht so großartig sein, wie man dachte?»
    «Und», fragt sie, «ist es großartig?»
    «Weiß nicht.»
    «Wieso weiß nicht. Ich denke, du hast dich gefreut?»
    Er schüttelt den Kopf. Er kann es nicht genau erklären. «Irgendwas stimmt nicht. Es ist schön…, sehr schön sogar, aber vielleicht ist es bloß genau so schön wie Kassel wäre, wenn all diese Häuser dort stünden.»
    «O weh, machst du’s nicht ein bißchen kompliziert?»
    «Weiß nicht.»
    «Dann wäre Kassel doch Paris.»
    «Eben nicht. Gauguin hätte sich nicht mit Vierzig aus Kassel davongemacht. Utrillo wäre nicht Picasso – und der nicht Kahnweiler – und der nicht Peggy Guggenheim in Kassel begegnet. Lautrec hätte in Kassel kein Hurenhaus besucht und so weiter.»
    «Nein?»
    «Du verstehst mich nicht, stimmt’s?»
    Er ist kleinlaut. Wie so oft verheddert er sich und kann nicht sagen, was er denkt. In seinem Kopf ist immer alles klar. Aber wenn er’s erklären will, kommt so eine Konjunktiv-Pampe raus, wie jetzt.
    «Kann sein», sagt Regina und schaut zu, wie ihr Glas von Madame gefüllt wird, «aber ich lieb dich. Stell dir vor, du wolltest das jemandem erklären, der dich noch nicht mal liebt.»
    «Du liebst mich?»
    «Soll ich’s beweisen?»
    «Bloß nicht. Beweise schaden.»
    «Beweise schaden?»
    Sie fährt sich mit dem Handrücken über den Mund und lächelt amüsiert: «Besser, du erklärst mir nicht, was das nun wieder heißen soll. Du scheinst das Talent zu haben, dich und andere in heillose Verwirrung zu stürzen.»
    Sie krabbelt unter dem Tisch mit ihren Zehen an seinem Bein hoch. Er sagt nichts. Sie könnte recht haben.
    Sie liebt mich, denkt er, das ist nicht Paris. Ich habe gar keinen Seelenplatz übrig für Paris. Paris besuch ich ein andermal. Das gilt jetzt noch nicht. Es ist Regina-Land, einfach nur Regina-Land. Wir fahren morgen mit der Fähre nach Regina-Land, und irgendwann kommen wir zurück nach Regina-Land, wo ich zweihundert Mark Schulden und eine Mappe voller Bilder stehen habe.
    Ich möchte sie zeichnen, denkt er, bloß für mich. Und sie dann in diesem blauen Kleid aus meinem Traum als riesengroßes Ölbild malen.
    Den Weg zurück zum Hotel findet sie genauso sicher, wie sie den Weg zur Rue Mouffetard gefunden hat. Mittlerweile sitzt ein Mann in der Portiersloge und lächelt ihnen freundlich zu.
    «Wir kriegen noch ’ne Chance», flüstert Regina und nimmt den Schlüssel in Empfang.
    Im Zimmer macht sie kein Licht. Er legt seine Kleider ab und geht unter die Dusche. Es ist wieder dieses konturenerweichende Straßenlampenlicht im Raum. Ihm ist schwindlig.
    Das kann an Regina liegen, am Wein oder daran, daß Paris nicht Kassel ist. Er wäscht sich schnell und kommt, ein Handtuch um die Hüften, ins Zimmer zurück.
    Sie erwartet ihn auf dem Bett wie die

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