Einsatzort Vergangenheit (German Edition)
mir das. Von mir aus hätte er gar
nicht mehr nach Hause kommen müssen.
Ich
nutzte die Zeit und sprach mit der Köchin den Speiseplan der Woche durch. Da
wir allerdings einen Großteil unserer Zeit in Whitehall verbrachten, gab es
nicht viel, was es zu besprechen galt und somit waren wir nach kurzer Zeit
fertig und ich schickte die Köchin zurück in die Küche. Was konnte ich nun tun?
Es waren diese Momente, in denen mir bewusst wurde, dass ich kein Kind dieser
Zeit war. Zwar hatte ich mittlerweile gelernt mich, ohne einen größeren Fauxpas
zu begehen, am Hofe aufzuhalten und mich dort unters Volk zu mischen. Ging es
jedoch darum, mich mit den normalen Tätigkeiten einer Frau des 16. Jahrhunderts
zu beschäftigen, dann war ich rettungslos verloren. Ich spielte kein
Instrument, wenn man mal von meinen leidlichen Blockflötenkünsten absah.
Sticken oder andere Handarbeiten gehörten auch nicht zu meinen Tugenden. Was
gab es also noch groß für eine Frau meines Standes zu tun? Ich hätte mich um die
Armen der Stadt kümmern können, aber dazu hätte ich mehr Geld gebraucht, als
mir momentan zur Verfügung stand. Und Phil nach Geld fragen, danach stand mir
wirklich nicht der Sinn. Was konnte ich noch tun? Lesen, aber außer einer Bibel
gab, es zu meinem Bedauern, keine anderen Bücher in diesem Haus. Sehnsüchtig
dachte ich an meine Couch zu Hause, sowie die ganzen anderen Annehmlichkeiten
meiner Zeit und ein akuter Anfall von Heimweh überkam mich. Auch wenn ich
inzwischen einige Kontakte geknüpft hatte, so war ich doch noch immer eine
Fremde hier. Ich konnte nicht so ohne Weiteres zu einer meiner
Hofbekanntschaften gehen, an deren Haustür klopfen und fragen, was abging und,
ob die Dame des Hauses nicht Lust hätte etwas mit mir zu unternehmen. Immer
tiefer versank ich im Selbstmitleid, ich fühlte mich so allein, wie ich es noch
nie im Leben zuvor gewesen war. Was hätte ich jetzt dafür gegeben den
Telefonhörer in die Hand nehmen zu können, um Marie anzurufen. Einfach nur ihre
Stimme zu hören, wäre in diesem Moment der Himmel auf Erden gewesen. Ihr könnte
ich alles von meinem Dilemma erzählen und sie würde wissen, was zu tun war.
Irgendetwas fiele ihr sicherlich ein, womit sie mich zum Lachen bringen könnte,
aber Marie war, streng genommen, noch nicht einmal auf der Welt und würde es
für über vierhundert Jahre auch nicht sein. Stopp! So konnte das doch nicht
weitergehen, ich konnte doch hier nicht einfach in Selbstmitleid zerfließen.
Ich musste etwas tun. Ich musste hier raus und mir fiel nur eines ein, was eine
Frau mit Liebeskummer tun konnte, wenn kein DVD-Spieler mit den schnulzigsten
Filmen und Schokolade zu Verfügung stand: Ich musste einkaufen gehen! Klar war
das ein Klischee, aber jetzt mal im Ernst: Ist bei jedem Klischee nicht
wenigstens ein winziges Körnchen Wahrheit enthalten? Und es war nun einmal die
einzige Möglichkeit, die sich mir bot mich abzulenken und die wollte ich nicht
ungenutzt verstreichen lassen.
„Meg,
zieh deinen Mantel an, wir gehen einkaufen!“, rief ich durchs Haus. Nur wenige
Augenblicke später kam sie aus Richtung der Küche angerannt, machte einen
pflichtbewussten Knicks und antwortete:
„Sofort,
ich bin gleich fertig!“
In
warme Kleidung eingepackt, machten wir uns auf den Weg. In der Nacht hatte es
geregnet, was zusammen mit der feuchten Luft der Themse dazu führte, dass ganz
London in dichtem Nebel eingehüllt lag. Die Kälte schien in mich
hereinzukriechen und für einen kurzen Moment bereute ich meinen spontanen
Einfall einkaufen zu gehen. Doch der Gedanke den Rest des Tages ohne Beschäftigung
im Haus zu verbringen, ließ mich schnell wieder daran glauben, dass dies ein
guter Einfall war. Was machten so ein wenig Nebel und Kälte schon aus,
lächerlich, wenn ich mich von so etwas abhalten ließ. Unser erstes Ziel auf
unserer Shoppingtour führte uns zum Saint Paul’s Churchyard. Die Menge an
Büchern, die hier verkauft wurden, suchte ihresgleichen im Rest der Stadt. Und
Bücher standen heute zu allererst auf meiner Liste. Ich wollte gewappnet sein,
damit ich beschäftigt war, sollte es noch einmal Tage wie diesen geben.
Überall
standen kleinere Buden, an denen die einzelnen Drucker ihre Werke verkauften.
Geistliche Texte, Gesetzesbücher, Gedichte, Prosa, alles was das Herz begehrte
und was nicht zensiert war. Mein Blick schweifte über die Auslagen, ein bereits
gebundener Reisebericht über Drakes Weltumsegelung erregte
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