Einsatzort Vergangenheit (German Edition)
Für einen
Moment überlegte ich, ob ich nicht laut um Hilfe schreien sollte. So schnell,
wie er gekommen war, verwarf ich den Gedanken wieder, denn dann würden sie mir
vielleicht noch schneller die Kehle durchschneiden, als sie es eh vorhatten.
Vielleicht wäre ein schneller Tod eine gute Lösung. Ich öffnete den Mund, um zu
schreien, da wurden die Vorhänge der Sänfte zur Seite geschoben und der
grauslichste Kerl, den ich je im Leben gesehen hatte, steckte seine hässliche
Visage herein. Ein von Pockennarben übersätes Gesicht mit kleinen Schweinsaugen
umrahmt von fettigen, dunklen Haaren starrte mich gaffend an.
„Guten
Abend my Lady, leider ist hier Eure Reise zu Ende. Wenn Ihr die Güte hättet
auszusteigen?“, feixte er und sein fauliger Atem raubte mir fast die Luft. Ohne
eine Antwort von mir abzuwarten, zog er mich grob am Arm aus der Sänfte.
Stolpernd kam ich zum Stehen und blickte den Banditen finster an. Die Chance,
dass er sich von meinem Blick einschüchtern ließe, war denkbar gering, aber ich
wollte nichts unversucht lassen. Was bei meinen Schülern oftmals Wunder
bewirkte, verpuffte hier wirkungslos. Stattdessen holte er mit dem Arm aus und
ich konnte gerade noch so erkennen, dass er etwas in der Hand hielt, bevor er
damit auf mich einschlug. Im nächsten Moment wurde alles schwarz vor meinen
Augen und ich verlor dankenswerterweise das Bewusstsein.
34.
Kapitel
Als
ich wieder zu mir kam, dröhnte mein Schädel schlimmer als nach einer
feucht-fröhlichen Silvesterparty. So viel Punsch hatte ich doch gar nicht
getrunken, waren meine ersten Gedanken. Erst langsam bekam ich meine Sinne
zusammen und die Erinnerungen an die Geschehnisse kurz nachdem ich Raleighs
Haus verlassen hatte, kehrten schlagartig zurück und entsetzt riss ich die
Augen auf. Eine Welle der Übelkeit durchflutete mich und nur mit Mühe konnte
ich ein Würgen unterdrücken, stattdessen ließ ich ein kurzes Stöhnen vor
Schmerzen von mir. Als die Übelkeit ein wenig abgeebbt war, wagte ich es mich
umzuschauen. Noch immer pochte mein Kopf und zu Beginn sah ich alles noch
unscharf, doch nach kurzer Zeit nahm meine Umgebung Formen an. Ich saß auf
einem Stuhl in einer Halle, die unserer nicht unähnlich war, holzgetäfelte
Wände, teilweise mit Teppichen dekoriert, Binsen mit Kräutern auf dem Boden und
eine etwas karge Möblierung komplettierten den Raum. Ich war nicht im
Bettlerhauptquartier gelandet, so viel stand schon mal fest. Es sei denn, der
Bettlerkönig Londons quartierte in einem Haus, das dem eines Adeligen
ebenbürtig war. Ein Mann saß auf einem der Stühle vor dem Kamin und beobachtete
mich aufmerksam. Noch immer war meine Sicht ein wenig verschwommen und ich
musste mehrfach blinzeln, bis ich ihn genau sehen konnte. Ein Schauer lief mir
über den Rücken, als ich sah, wen ich da erblickte. Es war der gleiche Mann,
den ich am Saint Paul’s Churchyard getroffen hatte! Das konnte nun beileibe
kein Zufall mehr sein.
„Wie
schön, dass Ihr den Weg zu mir gefunden habt“, ließ er spöttisch verlauten. Ich
versuchte aufzustehen, doch etwas hielt mich zurück. Erst jetzt stellte ich
fest, dass mein Oberkörper an den Stuhl gefesselt und aufstehen somit ein Ding
der Unmöglichkeit war.
„Man
hat mir ja keine andere Wahl gelassen, freiwillig bin ich unter keinen
Umständen hier. Was wollt Ihr von mir?“
Der
Mann erhob sich und kam auf mich zu, dabei zog er ein Bein leicht hinkend
hinter sich her. Der Teufel! Die Worte des engagierten Killers im Curtain
kehrten schlagartig zurück. „Weil er einen Hinkefuß wie der Teufel hat!“, hallten
die Worte in meinem Kopf wider. Er war derjenige, der die Ermordung der
Spencers angeordnet hatte, aber wie war das möglich? Obwohl das Ereignis für
mich in der Vergangenheit lag, würde es in der Zeitschiene erst in dreizehn
Jahren stattfinden. Mein Entführer war schon jetzt nicht mehr der Jüngste, ich
schätzte ihn auf Ende fünfzig, das hieße, dass er in dreizehn Jahren über
siebzig war. Ich hatte damals den Mann, der den ersten Mörder niedergestochen
hatte, nur flüchtig gesehen. Würde man mich fragen, dann hatte dieser Kerl
nicht wie ein alter Mann von über siebzig ausgesehen, eher wie die Ausgabe des
Mannes, der nun vor mir stand. Wie war das möglich?
„Ich
will Ihnen ein Geschäft vorschlagen, welches für uns beide gewinnbringend sein
kann!“
„Und
dafür bringt Ihr mich in Eure Gewalt? Was für ein schmutziges Geschäft habt Ihr
im Sinn?“ Dass er keine
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