Einsatzort Vergangenheit (German Edition)
machen.“ Hätte
er vielleicht, nur mir zuliebe, nicht einfach die Disneyvariante erzählen
können? Die, in der die Bösen immer ihr Fett wegbekamen und die Guten die
Belohnung erhielten?
„Du
hättest es nicht ein wenig netter verpacken können? Nur damit ich beruhigt
bin?“ Er schüttelte bedauernd den Kopf. Ich holte tief Luft, schluckte die
bissige Bemerkung, die mir auf der Zunge herunter und sprach weiter: „Vielen
Dank auch für dein Mitgefühl! Also, wo gehen wir als Erstes hin, damit wir
nicht hier verschüttet gehen?“
„Zur
Royal Exchange. Dort trifft man auf allerlei Leute und die wichtigsten
Bekanntmachungen werden dort angeschlagen. Schaden kann es nicht, außerdem ist
es eine Art Einkaufsparadies, das sollte dir doch gefallen, oder?“ Einkaufen?
Das klang gar nicht mal so schlecht, wer weiß, was es in einer
frühneuzeitlichen Shoppingmall alles zu sehen gab. Meine Laune wurde gleich
minimal besser, auch wenn ich immer noch den Gedanken im Hinterkopf mit mir
herumtrug, dass ich vielleicht für immer hier gefangen war.
Auch
die Royal Exchange lag nicht allzu weit entfernt von unserem Gasthaus, darum
wählten wir erneut den Weg über die London Bridge. Das Unwetter der letzten
Nacht hatte sich inzwischen verzogen. Zwar war es immer noch bewölkt, aber die
Sonne blitzte vereinzelt zwischen den Wolken hervor und ließ das Wasser der
Themse mal hier, mal dort hell glitzern. Mochte man Regen im Allgemeinen eine
reinigende Wirkung nachsagen, traf dies auf keinen Fall auf London zu. Ganz im
Gegenteil, der Geruch war noch viel schlimmer geworden. Und dass, wo ich der
Auffassung gewesen war, dass man das nicht mehr übertreffen konnte, aber
schlimmer geht wohl immer. Hinzu kam, dass der Regen die etlichen
ungepflasterten Straßen in ein großes Schlammfeld verwandelt hatte. Die
Holzpantinen, die Phil mir ebenfalls besorgt hatte, sorgten dafür, dass ich mir
meine dünnen Lederschuhe nicht mit Schlamm beschmutzte und zerstörte.
Zusätzlich hatten sie den Vorteil, dass sie mich noch größer machten und mein
Rocksaum somit nicht unentwegt durch den Schmutz der Straßen gezogen wurde.
Hatte ich zuerst nichts mit dem eigenartigen Schuhwerk anzufangen gewusst,
wusste ich sie mit jedem schmatzenden Schritt immer mehr zu schätzen. Ich war
mehr als dankbar dafür, dass der Himmel bewölkt war, aufgrund meiner vielen
Kleiderschichten war mir auch so schon warm genug, da konnte ich auf
strahlenden Sonnenschein verzichten. Hoffentlich versprühte ich nicht eine
ähnlich unangenehme Duftnote, wie die meisten Leute um uns herum. Ich fühlte
mich total verschwitzt und befürchtete, dass mein Deo, das ich am Tag zuvor in
der Gegenwart benutzt hatte, den 48-Stunden-Härtetest nicht bestanden hatte.
Vielleicht sollte ich mich im Falle unserer Rückkehr mal beim Hersteller
beschweren. Von wegen 48 Stunden Sicherheit! Nach nicht mal einem Tag stank ich
wie der Rest des 16. Jahrhunderts. Unter welchen Bedingungen wurden diese Deos
eigentlich getestet? Chillen am Pool, oder was?
Nach
relativer kurzer Zeit hatten wir die Royal Exchange erreicht und beim Betreten
der Toreinfahrt zum Innenhof der Börse verschlug es mir für einen Moment den
Atem. Als Phil von einem Einkaufsparadies gesprochen hatte, war ich davon
überzeugt gewesen, dass er übertrieben hatte. Doch das was sich mir hier bot,
war in der Tat ein wahrer Tempel des Konsums. Während wir unter den Alkoven
entlanggingen, entdeckte ich Hutmacher, Buchläden, einen Laden, der Waffen und
Rüstungen verkaufte. Selbst einen Laden der Mausefallen verkaufte, konnte ich
ausfindig machen, die gehörten bestimmt zu den Verkaufsschlagern hier. Dann gab
es Juweliere, die die erlesensten Stücke in ihren Auslagen liegen hatten.
Dagegen sahen meine geopferten Ohrringe wie traurige Waisenkinder aus. Und voll
war es! Schlimmer noch als an einem Adventssamstag in der Innenstadt. Die Leute
schubsten und drängelten sich aneinander vorbei, hasteten von einem Laden zum
anderen, und wenn sie jemanden trafen, blieben sie mitten im Weg stehen,
begrüßten ihren Bekannten und unterhielten sich lautstark. Hoffentlich passte
Phil gut auf unser Geld und, was noch viel wichtiger war, auf die Zeitmaschine
auf. Dieser Ort musste ein Paradies für Taschendiebe sein. An einem der
Geschäfte erstand Phil zwei kleine Messer, eines davon reichte er mir.
"Danke,
aber was soll ich damit tun?", fragte ich Phil, als ich es mir genauer
betrachtete. Als Waffe konnte man es kaum einsetzen.
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