Einsatzort Vergangenheit (German Edition)
gewesen. Dinge, die
ich nie gesehen hätte, hätte ich diese Zeitreise nicht gemacht und die ich auch
niemals vergessen wollte. Die ich aber, wenn ich Richard Lermins Worte richtig
deutete, vergessen würde, sollte ich mich dagegen entscheiden. Ohne die
Erinnerungen an das Erlebte konnte ich auch nicht wissen, was ich vermisste.
Ich könnte noch nicht mal meiner Entscheidung hinterher trauern, weil ich gar
nicht mehr wissen konnte, dass ich eine solche je hatte treffen müssen.
So
ging es den ganzen Morgen weiter, immer wieder rechnete ich Pro und Contra
gegeneinander auf und kam zu keinem eindeutigen Ergebnis, bis ich mit einem
erschrockenen Blick auf die Uhr feststellte, dass es Zeit für meine Verabredung
mit Sven war. Schnell huschte ich ins Bad, duschte trotz der knappen Zeit
ausgiebig, einfach weil es ein schönes Gefühl war, jederzeit eine Dusche zur
Verfügung zu haben. Ich zog mich an, holte mein altes Fahrrad aus dem Keller
und machte mich auf den Weg zum Treffpunkt, von wo aus unsere Radtour starten
sollte. Nicht, dass ich etwas gegen Radtouren gehabt hätte, nur fand ich, dass
es langsam an der Zeit war, unsere Beziehung einen Schritt weiterzuführen. So
hätte ich nichts gegen einen gemütlichen Sonntag auf der Couch mit einem
romantischen Film gehabt. Dabei hätte man schön kuscheln können und wer weiß
was sonst noch hätte passieren können, aber bisher hatte Sven sich nur auf
unverbindliche Aktivitäten mit mir eingelassen. Klar küssten wir uns, manchmal
liebkoste er mich auch ein wenig, aber mehr war einfach nicht drin. Langsam
fragte ich mich, ob er wirklich eine Beziehung mit mir wollte, oder ob ich doch
nur eine gute Freundin für ihn war.
„Hallo
meine Hübsche, schön dich zu sehen“, begrüßte er mich, als ich atemlos am
Treffpunkt ankam, da ich doch recht spät losgefahren war und mich hatte beeilen
müssen, um rechtzeitig zu sein. Er beugte sich zu mir und gab mir einen kurzen,
aber doch liebevollen, Kuss.
„Ich
freu mich auch, dich zu sehen.“ Wenn er wüsste, wie wahr das war! Immerhin
hatte ich die letzten Tage in der stetigen Angst verbracht, dass ich ihn nie
wiedersehen würde. Aber das konnte er nicht wissen, für ihn war der gestrige
Tag derjenige, an dem er mich das letzte Mal gesehen hatte, in meiner
Zeitrechnung waren allerdings drei Tage vergangen.
„He,
was ist das denn, bist du gestern Abend in eine Schlägerei geraten?
Lehrerschlammcatchen oder was?“ Er zeigte mit dem Finger auf die Stelle, an der
ich gestern, oder war, es vor vierhundert Jahren gewesen, den Schlag ins
Gesicht bekommen hatte. Augenscheinlich sah die Stelle auffälliger aus, als mir
bisher bewusst gewesen war.
„Äh
nein, da habe ich altes Schussel mich gestern beim Ausziehen irgendwie mit
meiner Uhr gekratzt. So was passiert mir andauernd“, bastelte ich mir schnell
eine Ausrede zurecht, die nicht allzu unglaubwürdig klang. Er gab mir einen
kurzen Kuss auf die Stelle.
„Tollpatsch
oder hast du gestern Abend etwa zu viel getrunken? Wer weiß, wie ihr Lehrer
seid, wenn ihr unter euch seid.“ Nun musste ich ihm auch noch beichten, dass
ich gar nicht bei diesem Treffen gewesen war. Phils Worte kamen mir in den
Sinn, dass dieser Job mit Lügen verbunden war. Ich war noch nicht mal
wirkliches Mitglied dieser Truppe und doch fing es schon mit den Lügen an.
„Ich
bin gestern nicht mehr weg, ich fühlte mich plötzlich unwohl.“
„Warum
hast du mich nicht angerufen? Ich wäre gerne gekommen und hätte dir
Gesellschaft geleistet. Oder wolltest du mich etwa nicht sehen?“ Sein
vorwurfsvoller Tonfall ließ mich aufmerken, was wollte er mir unterstellen?
Dass ich müde und kaputt gewesen war, daran gab es nichts zu bestreiten, nur
konnte ich ihm unter keinen Umständen den wahren Grund dafür erzählen.
„Quatsch,
ich fühlte mich einfach ziemlich geschlaucht, so als ob eine Erkältung käme und
deshalb bin ich ganz früh ins Bett gegangen, damit ich fit für unsere
Verabredung heute bin. Ansonsten hätte ich sehr gerne den Abend mit dir
verbracht, glaub‘ mir!“, versicherte ich ihm. Er schien es zu glauben und war
etwas beruhigter, trotz allem konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren,
dass ein Schatten auf unserem Ausflug lag. Wie gerne hätte ich ihm von meinen
Erlebnissen der letzten Tage erzählt, doch die Gefahr, dass er mich daraufhin
in die geschlossene Anstalt schickte, war mir zu groß.
Trotz
der kurzen Unstimmigkeit zu Beginn unseres Treffens wurde es noch ein schöner
Tag,
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