Einundzwanzigster Juli
Matzen mit, die Nanni gebacken hat. An den Anblick des Storchs, den sie zum Abschied über uns kreisen lässt, haben wir uns in dieser Woche schon gewöhnt. Jeden Tag kam sie – mehrmals, wenn es ging, und sei es nur, um uns zu überfliegen. Sehnsuchtsflüge, sagt Mutter zärtlich.
Es ist Ostersonntag und Lexi drückt liebevoll und tröstend eine Hand an die Seitenscheibe des Storchs, bevor sie abdreht. Morgen will sie Onkel Jasper nach Hof fliegen, wo seine Schwägerin, Baronin Guttenberg, ihn abholen und nach Hause zurückbringen wird.
Es ist Ostersonntag, und das ist das Letzte, was ich von meiner Tante Lexi gesehen habe.
F ÜNFZEHN
Philippa Bredemer! Hastig stolpere ich ins Dunkel, als mein Name aufgerufen wird, eine Taschenlampe leuchtet mir ins Gesicht und irgendwo dahinter knurrt die Stimme: »Nächste!« Im schnellen Wechsel zwischen blendendem Licht und Schwärze falle ich beinahe die Stufen des Omnibusses hinauf.
Die Stimme. Sie gehört zu einem Gesicht, das mir in seiner versteinerten Kälte deutlich vor Augen steht, obwohl ich den Blick rasch abgewandt hatte, noch während der Mann im Flur auf uns zutrat. In all den Monaten unserer Gefangenschaft bin ich noch keinem Menschen begegnet, dem sich das Böse so tief ins Gesicht gefurcht hat. Das Böse heißt Bader, Untersturmführer Bader, und leitet unseren Transport.
In einer Stunde fertig zur Abfahrt! Das Kommando kam am Nachmittag, gerade hatten wir bei schönem Wetter die große Wäsche beendet, nun bleiben unsere nassen Sachen im Gang vor der Baracke zurück. Diesmal, hieß es, dürften wir nur mitnehmen, was wir »bei der Fahrt auf dem Schoß tragen können«. In fliegender Hast musste entschieden werden, was das ist. Wie hätten wir wissen sollen, dass wir noch bis in die Nacht auf gepackten Koffern sitzen und warten würden?
Kein untätiges Sitzen allerdings: Ein verstohlenes Streifen und Schweifen kreuz und quer durch die Baracke war zu beobachten; kaum waren die Ersten auf die Idee gekommen, kannten auch andere kein Halten mehr. Fräulein Vermehren sah ich erfreut mit einem Kochtopf davonziehen, den Nanni hinterlassen hatte, Mutter fand einen guten Koffer, auf den Frau Goerdeler im Vorbeigehen einen strengen Blick warf.
»Sie kann nicht ernsthaft wollen, dass die SS ihn bekommt«, meinte Mutter und packte gelassen noch einmal um, während ich vor Scham fast im Boden versank.
Der Bus füllt sich, ein zweiter steht bereit. Da einzeln und nach Alphabet aufgerufen wird, muss der größte Teil der Familie im zweiten Bus fahren und ich wieder einmal mit der Angst zurechtkommen, wir könnten getrennt werden.
Mutter nimmt meine Hand, wir sitzen gleich vorn bei der Tür und die verstörten Blicke der anderen treffen als Erstes auf uns. Was hat das zu bedeuten? Der überstürzte Transport, die Anordnung zum Handgepäck, die große, grimmige Eskorte und die zahlreichen, auf uns gerichteten Pistolen auf dem Weg zwischen Baracke und Bus ... im Mienenspiel jedes Einzelnen, der nach der Gesichtskontrolle blinzelnd im Einstieg auftaucht, sehe ich dieselbe erschrockene Frage.
Dieselbe Resignation: Nun also doch! Der Gefechtslärm ist seit Tagen zu hören, auch jetzt, während unserer Abfahrt, erzittert die Nacht vom fernen Kanonendonner. Erfurt habe kapituliert, hieß es gestern, die Amerikaner stünden vor Weimar, nur wenige Kilometer noch ...
Vergeblich gehofft. Draußen, ich höre es ganz deutlich, tritt jemand an den Bader heran und will wissen, ob er die Handgranaten dabei hat.
Eine Antwort höre ich nicht. Mein Kopf schleudert Worte wie Bälle umher.
Sie! Wollen! Uns! Sprengen!
Ich will aufspringen, zur Tür rennen, es den anderen zuschreien. Ist es schreckerstarrte Angst, die mich an den Sitz fesselt, oder der schiere Unglaube: Das können sie doch nicht machen!?
»Bleib ruhig«, flüstert Mutter, die es auch gehört hat, »im Moment können wir nichts tun! «
Quälende Minuten ziehen sich in die Länge. Ist der zweite Bus schon abgefahren? Zur Seite hin, wo er stehen müsste, sehen wirnichts; bis auf die Frontscheiben sind alle Fenster mit Farbe bestrichen. Nur an den huschenden Schatten der Wachmannschaft im Scheinwerferlicht vor dem Bus ist zu erkennen, dass der Aufbruch unmittelbar bevorsteht.
Die Nocke kam wie ein Gespenst durch unser Zimmer geflogen, während wir packten. »Aus! Aus! Es ist alles aus! « Stürmte nach nebenan, ohne auf Antwort zu warten, verkündete dort dasselbe. War auf einmal verschwunden.
Wir fahren. Ohne Max,
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