Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
Vom Netzwerk:
fest.
    »Furchtbar gern, Klexchen. Aber ich weiß noch etwas Besseres!«
    Etwas Besseres ...? Fragend sehe ich sie an.
    Und meine Tante Lexi beugt sich vor und gibt mir zwei Küsse, einen rechts und einen links, und sagt so leise, dass nur ich es verstehe: »Wir sprechen uns nach dem Krieg.«
    Auf dem Rasen streiten Guntram und Konstantin um die Federballschläger. Bernadette hat ihren freien Nachmittag und prompt geht es richtig zur Sache. Fängt mit zwei, drei Worten an, wechselt fast sofort zum Schubsen, und ehe man zum zweiten Mal mit den Augen geblinkt hat, liegen sie schon in der Wiese und Leopold schreit hysterisch: »Nicht hauen! Er ist kleiner!«
    Vor zwei Stunden waren sie noch ein Herz und eine Seele. Wir saßen auf der Schlosstreppe und warteten mit Blick gen Himmel, ob Lexi uns vielleicht überfliegt und mit den Tragflächen wackelt, aber diesmal kam sie nicht und das war auch besser so, denn viel weiter oben, als wir den Storch erwarteten, entdeckte Guntram plötzlich Dutzende silberner Streifen.
    »Für Nürnberg sind sie noch zu hoch«, befand ich. »München vielleicht.«
    Klar, München. Die Jungen stimmten sofort zu. Für Bomber bin ich die anerkannte Autorität. Macht fast die Gemeinheit mit der Zauberei wieder wett.
    Ich drehe mich auf meiner Picknickdecke um, damit ich dem Gezanke nicht zusehen muss, und vertiefe mich wieder in die Lokalzeitung. Fast vier Wochen ist es her, dass ich zuletzt eine Zeitung in der Hand hatte. In Oschgau mussten wir sie für den politischenWochenbericht auswerten, in Berlin hatten wir andere Sorgen, als uns eine zu besorgen.
    Hinter mir rennen Tante Ina und Tante Nelly über den Rasen. Ina ist schneller! Wer hätte das gedacht. Aber vielleicht hatte sie auch nur einen Vorsprung beim Kaltstart aus den Terrassenstühlen; es ist schließlich ihr Konstantin, der unten liegt.
    Gleich mehrere Seiten der Zeitung drehen sich um die eine Woche zurückliegende Bombardierung eines Nachbarortes. Vierzig Häuser dem Erdboden gleich, sechzig Menschen tot und immer noch mehrere vermisst ... Stück für Stück trägt man die Trümmer des Ortes ab, allerdings längst ohne die Hoffnung, noch jemand lebend zu bergen.
    Keiner weiß, warum die Flugzeuge Ebingen angegriffen haben. Wahrscheinlich haben die Piloten die Orientierung verloren. In der Zeitung schreiben sie von Schicksal, und von Vergeltung natürlich. Zwölftausend Ebinger gegen Amerika!
    »Konntest du nicht mal was sagen?«, keucht Tante Ina, als sie Konstantin an mir vorbeizerrt.
    »Ging zu schnell«, behaupte ich. »Hab’s erst gesehen, als ihr schon losranntet.«
    »Lagst ja auch auf dem Bauch«, sagt Tante Nelly und zwinkert mir zu.
    Die Telefonleitungen sind wegen der immer noch andauernden Reparaturen rund um Ebingen gestört. Kein Wunder, dass ich Mutter nicht erreiche.
    Am Abend besuche ich Lore in der Küche. Sie erzählt von ihrem Verlobten Bertold-Martin, der als Infanterist die Normandie verteidigt.
    »Und du? Hast du schon mal jemand geküsst?«, fragt sie verschwörerisch.
    »In Oschgau waren wir nur Mädchen«, gebe ich zähneknirschend zu.
    Ich schlafe gut! Darf ich mich nun daran gewöhnen?
    Am Donnerstagmorgen, dem zwanzigsten Juli, meinem fünften Tag auf Schloss Lautlitz, beschließe ich, eine süße, zartgelbe Bluse mit Stehkragen anzuziehen, die ich in Lexis Kleiderschrank entdeckt habe. Sie hat bestimmt nichts dagegen.
     
    Es gibt Gewitter, behauptet Omama. So drückend heiß, wie es die letzten Tage gewesen ist, werde es auch langsam Zeit. In Gummistiefeln steht sie im Blumenbeet und besprengt ihre kostbaren, selbst gezogenen Rosen.
    Inzwischen fällt mir gar nicht mehr auf, was in Lautlitz möglich und selbstverständlich ist. Nur ganz kurz durchzuckt mich der Gedanke, dass so mancher Berliner ein Vermögen darum gäbe, sich unter den dicken Wasserstrahl stellen zu dürfen.
    »Ich habe dich neulich Abend schockiert, nicht wahr?«, bemerkt Omama. »Glaub bloß nicht, das wäre mir entgangen. Wenn du mir etwas sagen willst, nur zu!«
    So unverblümt aufgefordert, fällt mir allerdings nicht mehr ein als ein respektvolles: »Ich finde, du tust dem Führer Unrecht.«
    »Das mag wohl sein«, räumt sie ein. »Ich habe schon Leute sagen hören, er sei verrückt. Wenn das wahr ist, kann er natürlich nichts dafür, aber ehrlich gesagt ...« Sie zupft ein paar schlaffe Blüten ab und steckt sie in die Tasche ihrer Gartenschürze. »Das würde mir noch weniger behagen. Ein Volk, das blindlings einem

Weitere Kostenlose Bücher