Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)
Titel:
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt
und Maschinengondeln des Luftschiffs. Regen peitschte über seine helle Haut.
„Kurs Nordnordwest!“, rief Kapitänin Halkins dem Rudergänger zu.
„Aber Kapitän“, wandte der ein. „Wir steuern mitten in den Sturm!“
„Eben!“, knurrte Samanða Halkins. „Der schnellste Weg aus dem Gewitter ist mitten durch.“
Sie wandte sich ihrem Rudergänger zu. Jan war zwischen Venedig und Æsta der beste Mann für diesen Posten. Ein echter Friese mit wildem Vollbart, noch wilderen Hautbildern und wettergegerbtem Gesicht. In diesem war jetzt allzu deutlich die Angst zu sehen, und Jan war kein Feigling.
„Geh weg“, sagte sie. „Ich mache es selbst!“
Jan senkte betreten den Blick und wich nicht von Ruder. Doch es hatte keinen Sinn, wenn sein Stolz sie alle in Gefahr brachte. Er war eben nur der beste Mann. „Lass die Ladung sichern“, sagte sie, „und sag der Mannschaft, sie soll die Passagiere beruhigen. Sie sollen sich gut festhalten. Es könnte ruppig werden.“
Jan nickte und wartete, bis sie das zuckende Ruder fest im Griff hatte. Dann wandte er sich ab.
Sie nahm das Sprechrohr zu den Maschinisten und rief: „Volle Kraft! Gebt, was ihr könnt!“
Das Metallskelett des Luftschiffs ächzte und knarrte, als sie es in den Wind drehte.
Wenn jetzt etwas schiefging, waren kaputtes Geschirr und gebrochene Knochen ihre geringsten Sorgen. Wenn ein Blitz den Wasserstoff entzündete … nun, keiner der Passagiere würde sein Ende mitbekommen. Sie würden nicht mal mehr nass werden.
Samanða Halkins lachte dem Sturm entgegen.
„Sammy!“, erscholl da eine Stimme aus dem Nichts.
„Sammy!“, rief die Geisterstimme noch einmal.
„Sammy! Träumst du?“
Samanða Halkins fuhr hoch und starrte Maus übelgelaunt an. Wie konnte er sie so erschrecken?
„Sammy, wir müssen los“, sagte der kleine Junge aufgeregt. „Die Markthalle schließt gleich. Wenn du heute noch was im Bauch haben willst, müssen wir …“
Samanða seufzte leise, stand auf und ging zur Tür des zugigen Verschlags, der ihrer Bande Zuhause war. Die Sonne war untergegangen und der Mond eine milchige Scheibe, in deren Licht Schneeflocken über den Hinterhof tanzten. Erst auf halbem Weg zur Markthalle würden Gaslaternen ihren Weg erhellen. In diesem Viertel Æstas gab es so etwas nicht.
„Kommst du? Die anderen warten schon“, drängte Maus. Er hüpfte auf der Stelle.
Samanða zog den Ledermantel über und schlug den Kragen hoch. Ein Jahr zuvor hatte der Mantel noch den Boden gestreift, jetzt reichte er ihr bis an die Knöchel, die Ärmel waren bis zu den Ellbogen umgeschlagen, und sie hätte ihn noch schließen können, wenn sie dreimal so dick gewesen wäre. Aber er hielt den schneidenden Wind ab und war ihr ganzer Stolz, seit sie ihn in einem überfüllten Wirtshaus einem vornehmen Herrn abgenommen hatte. Da war sie elf und diese Gaunerei ihre Aufnahmeprüfung in die Bande gewesen.
Vier Jahre war das her.
Inzwischen bestimmte sie, wer dazugehörte und wer nicht.
Die anderen warteten schon auf sie.
„Los geht’s!“, rief sie.
„Hast mal wieder vom Fliegen geträumt?“, lästerte Frieder. Der spitzgesichtige Kerl war mit seinen sechzehn Jahren das älteste Bandenmitglied; Sammy bereute es inzwischen, dass sie ihn aufgenommen hatte. Es war mehr als offensichtlich, dass er ihren Platz einnehmen wollte, und seit er durch einen dummen Zufall mitbekommen hatte, dass es ihr Traum – nein: ihr großes Ziel – war, eines Tages Kapitänin auf einem Luftschiff zu werden, ließ er keine Gelegenheit ungenutzt, sich darüber lustig zu machen.
„Du und Luftschiffkapitän?“, hatte Frieder gelacht. „Wenn du keine Frau wärst und nicht nur aus Haut und Knochen bestündest, könntest du eventuell als Heizer anheuern. Aber so wie du dastehst, kannst du nicht mal drüben in Madames Salon deinen Arsch verkaufen.“
Sammy hatte Frieder gezeigt, dass sie nicht nur mit Haut und Knochen, sondern auch mit Sehnen und Muskeln aufwarten konnte. Sie hatte ihm zwei Schneidezähne ausgeschlagen und ein Büschel Haare ausgerissen, außerdem hatte er zwei Wochen gehumpelt. Aber das zahnlückige Feixen, das sich seitdem viel zu oft auf seinem Gesicht zeigte, offenbarte, dass er ihren Wutausbruch gelassen nahm – im Gegenteil, ihn als Zeichen seines Sieges betrachtete.
Seitdem war er vorsichtiger geworden, und so fand Samanða keine Möglichkeit, Frieder wieder aus der Bande zu schmeißen, ohne das Gesicht zu verlieren.
Konkurrenz belebe das
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