Eisberg
Kopf und flüsterte Tidi ins Ohr: »Haben Sie auch das Gefühl, daß wir personae non gratae sind?«
Tidi sah ihn zweifelnd an. »In keiner Weise. Jeder ist doch äußerst freundlich zu uns.«
»Sicher, das trifft zu, aber es ist eine falsche Freundlichkeit, die man uns entgegenbringt.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Ich spüre es.«
»Das ist Unfug. Sie können niemandem einen Vorwurf machen, wenn er sich scheut, sich einem Mann zu erschließen, der so angezogen ist wie Sie.«
»Im Gegenteil, so ein seltener Vogel steht sonst im Mittelpunkt des Interesses. Hier nicht. Deshalb kommt mir das wie ein Leichenschmaus vor.«
Tidi lachte Pitt belustigt an: »Sie sind nur nervös, weil Ihnen andere hier die Schau stehlen.«
Er lächelte zurück: »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir das näher zu erklären?«
»Sehen Sie die beiden Männer dort drüben?« Sie deutete zur Fensterwand. »Neben dem Flügel?«
Pitt blickte unauffällig in die angegebene Richtung. Ein kleiner, rundlicher, lebhafter Glatzkopf redete aufgeregt gestikulierend auf einen drahtigen, dichten weißen Bart ein, der keine zwanzig Zentimeter von seiner Nasenspitze entfernt war. Der Bart gehörte einem großen, vornehm aussehenden Mann mit silberweißem Haar, das ihm über den Kragen fiel und ihm das Air eines Harvard-Professors gab.
Pitt wandte sich wieder Tidi zu und zuckte die Achseln. »Und?«
»Sie wissen nicht, wer die sind?«
»Sollte ich?«
»Sie lesen eben die Klatschspalten der Boulevard-Presse nicht.«
»Der
Playboy
ist meine einzige Lektüre.«
Tidi warf ihm einen echt weiblichen »Entsetzlich-diese-Männer«-Blick zu und sagte: »Das ist schon ziemlich schlimm, wenn der Sohn eines Senators der Vereinigten Staaten zwei der reichsten Männer der Welt nicht erkennt.«
Pitt begriff nicht gleich. Doch endlich ging ihm auf, was sie gesagt hatte. Er drehte sich um und sah sich noch einmal die beiden Männer an. Dann wandte er sich wieder Tidi zu und packte sie so fest am Arm, daß sie zusammenzuckte. »Wie heißen sie?«
»Der dicke Glatzkopf ist Hans von Hummel. Der Vornehme ist F. James Kelly.«
»Täuschen Sie sich nicht?«
»Nein, ich bin sicher. Ich habe Kelly einmal gesehen, beim Ball zum Amtsantritt des Präsidenten.«
»Schauen Sie sich um! Erkennen Sie noch jemanden?« Tidis Blick durchforschte den Saal nach weiteren Bekannten. Sie hatte Glück. »Der alte Kerl mit der ulkigen Brille, der auf dem Sofa sitzt, ist Sir Eric Marks. Und die attraktive Brünette neben ihm ist Dorothy Howard, die englische Schauspielerin.«
»Die interessiert mich nicht. Konzentrieren Sie sich nur auf die Männer.«
»Der einzige, der mir noch bekannt vorkommt, ist der Mann, der gerade hereingekommen ist und jetzt mit Kirsti Fyrie plaudert. Ich bin ziemlich sicher, es ist Jack Boyle, der australische Kohlenkönig.«
»Wieso kennen Sie sich so gut mit Millionären aus?«
Tidi zuckte mit einer reizenden Bewegung die Achseln. »Unverheiratete Mädchen vertreiben sich gern mit Gesellschaftsklatsch die Zeit. Man kann schließlich nicht wissen, ob man nicht irgendwann einmal einem dieser Männer begegnet.«
»Jetzt hat sich Ihr Hobby einmal bezahlt gemacht.«
»Weshalb?«
»Es sieht so aus, als wäre hier der Bergbau-Club versammelt.«
Pitt zog Tidi mit sich hinaus auf die Terrasse und führte sie in eine entlegene Ecke abseits des Partygetriebes. Er beobachtete, wie kleine Gruppen von Gästen durch die breiten Doppeltüren geschlendert kamen, in seine Richtung schauten und sich dann wieder abwandten, nicht als ob es ihnen peinlich wäre, sondern eher wie Wissenschaftler, die ein Experiment überwachen und das vermutliche Ergebnis diskutieren. Er hatte langsam das ungute Gefühl, daß es ein Fehler gewesen war, Rondheims Haus aufzusuchen. Er war gerade dabei, sich eine Entschuldigung auszudenken, mit der er und Tidi sich verdrücken konnten, als Kirsti Fyrie sie erblickte und auf sie zukam. »Wollen Sie bitte ins Studio kommen? Wir fangen an.«
»Wer liest denn?« fragte Tidi.
Kirstis Gesicht strahlte. »Sie wissen es nicht? Oskar natürlich.«
Um Gottes willen, dachte Pitt im stillen. Er ließ sich von Kirsti in das Studio führen wie ein Lamm zur Schlachtbank. Tidi folgte ihnen.
Sie waren fast die letzten. Die Plüschsessel, die in einem weiten Kreis um ein erhöhtes Podium herumstanden, waren bis auf wenige schon besetzt.
Ein paar Augenblicke später wurde die Beleuchtung heruntergedreht, bis es im Studio fast ganz dunkel war.
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