Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
Herr Ritter, Sie bringen mir bitte rasch die Ergebnisse von der Bekleidung des Toten. Und dann benötigen wir Leute, die in Waldau die weitere Umgebung nach den fehlenden Kleidungsstücken des Ermordeten und des Jungen absuchen. Mit etwas Glück stoßen wir dabei sogar auf den Tatort. Oder den Ort des Unfalls.«
»Das regle ich«, bot Dr. Grede an. »Ich informiere noch die Forstverwaltung und die Jagdgemeinschaften. Die sollen im Wald die Augen offen halten.«
Ein Blick aus dem Fenster bestätigte Judith, dass es schon dunkel wurde. Im Freien würden sie heute nichts mehr erreichen können. Fürs Erste waren die Aufgaben verteilt. Sie sah ihre neuen Mitarbeiter, auf Verständnis hoffend, an. »Es wäre schön, wenn wir morgen gleich weiter arbeiten könnten. Bei diesem Fall scheint es mir zu riskant, einen Tag Pause einzulegen.«
Ritter war gleich bereit. »Ich bin dabei. Ein, zwei Leute aus dem Labor machen sicher auch noch mit.«
Lisa Lenz nickte. »Ist doch selbstverständlich, außerdem hatte ich sowieso nichts weiter vor.«
Dr. Grede meinte: »Ich bin auf jeden Fall hier und die Sonntagsbereitschaft kann sich auch noch nützlich machen.«
Judith Brunner bedankte sich erfreut und stand auf; sie brauchte ein Telefon.
»Dr. Grede, konnten Sie schon ein Büro für mich finden?«
»Oh! Da habe ich mir weiter keine Gedanken gemacht. Ich nahm an, Sie beziehen einfach das vom Chef. Es ist ja frei und noch so, wie er es verlassen hat. Also, hm, benutzbar. Ist das ein Problem?«
Judith Brunner schüttelte den Kopf. Hoffentlich war das Zimmer wenigstens ausgeräumt. Sie hatte keine Lust, Reste von Bürobonbons aus dem Schreibtisch zu fischen und vertrocknete Topfpflanzen zu entsorgen. Tapfer antwortete sie ihrem Stellvertreter: »Nein, nein, wo liegt es denn?«
»Ich zeige es Ihnen, hier entlang«, und Dr. Grede wies in denselben Gang, an dessen Ende sich sein Büro befand. »Gleich hier vorn, die beiden Türen.«
Als Judith Brunner vor der Tür zu ihrem neuen Arbeitsplatz stand, schlugen ihre Gedanken Purzelbäume. War es das, was sie gewollt hatte, als sie um die Versetzung gebeten hatte? Eine eigene Dienststelle? Und dann noch in Gardelegen? Langweilig würde es wahrscheinlich nicht werden, das belegten ihre bisherigen Aufenthalte in der Kreisstadt. Sie mochte die Menschen hier in der Altmark. Einen besonders. Es war eine Chance.
Sie atmete tief durch, öffnete die Tür, betätigte den Lichtschalter und sah das grässlichste Büro, das sie je betreten hatte. Als hätte jemand versucht, sämtliche Möglichkeiten der schlimmsten Geschmacksverirrungen zu illustrieren! In dem großen, bis auf die Fensterfront holzgetäfelten Raum wurde der wohlmeinend gerade noch grünbraun zu nennende Bodenbelag durch gelbbraune Vorhänge ergänzt, die zu kurz geraten waren und deshalb in einer günstigen Höhe endeten, um die schmutzigweißen Heizkörper sichtbar werden zu lassen. Die Tapete an der Fensterwand war mit ehemals orangeroten und hellbraunen großen Kugeln gemustert. Inzwischen hatte jahrzehntelanges Tageslicht die beiden Farben ausgelaugt und gnädig einander angepasst. Judith wagte kaum, den Blick zur Decke zu heben; hier zierten vergilbte, geprägte Kassetten aus Kunststoff und milchglasige Kugellampen die Fläche. Die Möblierung war zum Glück sparsam und würde sich rasch ersetzen lassen. Schränke verbargen sich offenbar hinter der Wandtäfelung aus Sperrholz. An den Wänden hingen gerahmte Fotografien von Polizeiveranstaltungen, irgendwelche Hände schüttelnden Männer in Uniformen oder unmodischen Sportsachen. Ein Bild, das drei beleibte Herren stolz neben erschossenem Wild zeigte, nahm sie gleich ab und ließ es in den Papierkorb fallen. Die kunststoffbezogenen Stühle um einen großen Besprechungstisch würden zum Sperrmüll gebracht werden müssen, ebenso der durchgesessene Schreibtischsessel. Mit den Tischen ließ sich etwas anfangen. Der Rest machte sie ratlos. Wie sollte sie hier arbeiten? Und dann entdeckte sie, winzig auf dem großflächigen Schreibtisch, eine kleine Glasvase mit drei grünen Stängelchen, nur ein paar Zentimeter lang, daran schmale Blütenknospen mit weißen Spitzen. Dazu war ein Zweiglein gesteckt, dessen Knospen darauf warteten, aufgehen zu können. Was für eine nette Geste!
»Ich hatte gehofft, bis Montag würden sie sich noch öffnen«, leise war Lisa Lenz in die Zimmertür getreten, »es sind die ersten Schneeglöckchen, die wir dieses Jahr haben.«
»Ach Lisa, Sie
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