Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
naheliegende Frage ab: »Wo hatte er bis dahin gelegen?«
»Und warum hatte er noch seine tolle Hose an?«, fragte plötzlich Judith Brunner und verwirrte damit nicht nur den Laborchef. Niemand wusste eine Antwort.
~ 23 ~
Walter Dreyer störte die Leute nicht gern am Sonntag. Er selbst mochte das auch nicht, weil er fand, dass es Tage geben musste, an denen die Welt einen in Ruhe ließ. Trotzdem duldeten seine Gespräche keinen Aufschub.
Auf dem Weg zu Elvira Bauers Wohnung stellte er erneut fest, dass das Tageslicht die Tristesse der Umgebung noch unangenehmer auffallen ließ: die zerfallende Gärtnerei, die leeren Nachbarwohnungen. Hinter einem der dort herabhängenden Fensterläden wurde der Flügel eines alten Doppelfensters sichtbar, an dem wunderschöne Eisblumen versuchten, die Trostlosigkeit zu schmücken. Es gelang ihnen nicht. Plötzlich wurde die Tür von einem der alten Gewächshäuser aufgestoßen und Fritzi erschien, warm in einen silberfarbenen, unförmigen Anzug mit Kapuze eingepackt, als sei er für eine Weltraummission vorgesehen. »Dany ist wieder bei uns!«
Dreyer war erleichtert, dass das Universum des Kleinen wieder in Ordnung war. »Was spielst du gerade?«
»Verstecken.«
»Allein?« Walter Dreyer sah sich um. Ihm gefiel nicht, dass der Junge ohne Aufsicht unterwegs war.
»Ich suche mir schon ein Versteck aus. Leon will nach dem Mittagsschlaf kommen und mit uns Verstecken spielen.«
»Und Dany darf auch schon mitspielen?«
Ein eifriges Nicken bestätigte das erfreuliche Wohlergehen des Mädchens.
»Ist deine Mama da? Ich würde mich gern mit ihr unterhalten.«
Fritzi nahm wie selbstverständlich Walters Hand und ging mit ihm los. Die unerwartete Geste des Kleinen rührte Dreyer an und er verstand, warum Leon nicht anders konnte, als Fritzi mit Zuneigung zu überschütten. Der Junge zog ihn ins Haus. Walter Dreyer klopfte beim Eintreten höflicherweise laut an den Türrahmen.
Es duftete nach frisch getoastetem Brot. Elvira Bauer saß beim Frühstück an ihrem Wohnzimmertisch, von dem aus sie ihre Tochter, die nun unter Leons Daunendecke auf dem Sofa lag, immer im Auge behalten konnte. Für ihren Besuch im Krankenhaus hatte sie sich zurückhaltend mit einer dunkelblauen Hose und einem flauschigen, weißen Pullover gekleidet und offenbar noch keine Zeit gefunden, sich umzuziehen. Dany schlief, wurde aber sofort wach, als ihr Bruder sich vor sie stellte und ihr intensiv ins Gesicht sah. Zufrieden mit der Besichtigung setzte er sich kommentarlos zu seiner Mutter an den Tisch und sah sie auffordernd an.
»Zieh dich erst einmal aus, Fritzi. Dann gibt es was zu essen. Guten Morgen, Herr Dreyer.« Sie stand auf und reichte ihm einen Zettel, auf dem die Kleidungsstücke beschrieben waren, die der Kleine angehabt hatte.
»Nehmen Sie auch einen Kaffee?«
»Danke, gern.« Unsicher blieb er stehen. »Wie geht es Dany?«
»Sie muss vom Krankenhausaufenthalt noch Abstand gewinnen, ansonsten geht es ihr gut. Nun ist sie ja wieder bei uns und kann sogar schon lächeln, wenn sie möchte«, lockte Elvira Bauer, doch ihre Tochter mochte nicht. Sie drückte ein langes, dünnes, äußerst gelenkiges Plüschwesen an sich, das ein grellrosa Fell hatte.
»Wir sind erst vor einer Stunde wieder hier gewesen. Im Krankenhaus hat es doch länger gedauert, als ich erwartet hatte. Leon war zum Glück mit Fritzi in den neuen Imbiss gegenüber vom Krankenhaus verschwunden, insofern konnte ich mich gut um Dany kümmern.«
»Ich durfte alles essen, was ich wollte«, gab der Kleine an.
»Unterwegs sind wir noch bei einer Freundin vorbeigefahren, die mir immer mal ein paar abgelegte Anziehsachen ihrer Kinder überlassen hat. Zum Glück hatte sie für Fritzi was Passendes da.« Elvira Bauer seufzte, als sie an den Grund für den ungeplanten Besuch dachte.
»Fritzis neue Stiefel sind viel schöner als die alten, Mama!«, war Dany bemüht, sie zu trösten. Dafür bekam sie einen Kuss und ein Versprechen: »Nächstes Jahr bekommst du auch neue, Indianerehrenwort.«
Elvira Bauer gab Walter Dreyer einen Becher Kaffee. »Setzen Sie sich bitte.« Sie rückte die Milchkanne und einen kleinen Löffel in seine Reichweite.
Fritzi reichte Walter großzügig eine der getoasteten Brotscheiben, die der aber freundlich ablehnte. Es lagen nur noch zwei da.
»Ich wollte mich gern mit den Kindern unterhalten. Über ihren Ausflug gestern Morgen. Ob das geht?«
»Ist schon in Ordnung. Hört bitte zu.«
Die Kinder
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