Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
genauer ansehen. Konnte sie daraus irgendetwas ableiten? Mit genauen Anschriften waren nur feste gewerbliche Lieferadressen vermerkt, die offenbar immer zur selben Zeit Pakete erhielten: der Friseur in Wiepke einmalig, die Wirtshäuser fast täglich, die Gärtnerei in Breitenfeld auch einmalig, dann war wieder jeden Tag mindestens ein Dorfkonsum anzufahren, und siehe da, auch nach »Feine Sache« war jeden zweiten Tag eine Tour zu machen. Es war möglich, die so zu legen, dass man etwa zur Mittagszeit dort wäre. Das war interessant. Wo Dampmann außer diesen festen Adressen noch halten musste, hing sicher vom konkreten Lieferaufkommen ab.
Das Telefon klingelte und Judith hörte Walter sprechen: »Schön, dass ich dich endlich erreiche. Leon hat die Tatwaffe gefunden.«
Sie wunderte sich über die fehlende Begeisterung in seiner Stimme. »Das ist sehr gut. Wo denn?«
»Im hinteren Gewächshaus, in einem Müllhaufen. Er räumte dort auf und fand das Messer einfach. Schickst du Ritters Leute her?«
»Ja, wenn du mir sagst, warum du dich nicht freuen kannst.«
Walter seufzte. »Ach, ich hab mich gerade mit Leon gestritten. Hab ihn da wohl ungewollt gekränkt.« Er berichtete kurz von der Auseinandersetzung. »Ich konnte ja nicht wissen, dass er meine Bedenken auch schon von Elvira Bauer gehört hatte. Die junge Frau imponiert mir richtig. Dass sie Leon gegenüber ihre Befürchtungen so deutlich anspricht.«
Judith war verunsichert. Wollte Walter etwas von ihr hören? Oder hatte er einfach nur davon erzählt? Sie mischte sich nur äußerst ungern in Auseinandersetzungen von Männern ein. Deren Umgang miteinander unterschied sich erheblich von ihrer Erfahrungswelt und sie war mit Deutungs- und Vermittlungsversuchen schon öfter gescheitert; die waren einfach nicht erwünscht. Sie kannte Walter nicht gut genug, um das einschätzen zu können. Deshalb versuchte sie es vorsichtig. »Weißt du, wenn du recht hast, und er ist ein Hallodri, dann hast du alles richtig gemacht. Wenn du dich aber irrst und er hat aufrichtige Absichten, wird er es irgendwann zu schätzen wissen, dass jemand die Frau mit den Kleinen beschützen wollte.«
Gleich ging es Walter besser. »Danke. Das hört sich gut an.«
»Ich hab dir auch noch was Neues zu erzählen. Zum Notizzettel aus Wolffs Wagen«, frohlockte Judith.
»Ach, hat Ritter dir auch von seinem Tee erzählt?«, vermutete Walter.
Ritter? Tee? Verwirrt fragte Judith zurück: »Ich meine den Zettel mit T4.«
»Ja genau, seltsamer Zufall, nicht wahr?«
»Hör doch bitte, Walter. Der Zettel ist von Dr. Meden geschrieben worden. Er hat ihn gleich wiedererkannt.«
Irgendwie gelang es beiden dann schnell, ihre Geschichten in Einklang zu bringen.
»Das würde ja bedeuten, dass der Mörder von Wolff zur selben Zeit oder kurz nach Dr. Medens Aufenthalt in ›Feine Sache‹ gewesen sein musste«, schlussfolgerte Walter.
»Richtig, doch wie der Zettel in Wolffs Auto kam, wissen wir damit immer noch nicht.«
»Na, Dr. Meden wird ihn wohl nicht im Fahrzeug verloren haben, sonst hätte er seinen Zettel nicht so bereitwillig identifiziert.«
Judith gab ihm recht. »Wie auch immer, zumindest können wir nun einen verhängnisvollen direkten Zusammenhang zwischen den jetzigen Taten in Waldau und den NS-Verbrechen weitgehend ausschließen.«
»Immerhin.«
»Walter, wir haben Dampmann hier und er hat zwar irgendwelche unlauteren Geschäfte mit den Kartons zugegeben, aber weiter sind wir mit ihm nicht gekommen. Er hält einfach den Mund. Ich will heute noch eine Hausdurchsuchung bei ihm machen. Da brauche ich jeden Helfer. Kannst du auch nach Poppau kommen?«
»Ich komme, wohin du willst.«
~ 45 ~
Nach der Vernehmung von Dampmann hatte sich Judith Brunner zu einem Besuch beim örtlichen Betrieb des Altstoffhandels entschlossen. Ihr war eingefallen, dass man hier neben Pappe und Papier auch Lumpen loswerden konnte. Noch immer fehlten einige von Fritzis Kleidungsstücken. Steckte Dampmann vielleicht doch selbst hinter allem und wollte die Sachen auf diese Weise entsorgen?
Dr. Grede hatte Judith den Weg beschrieben.
Sie ging zu Fuß, um dabei Gardelegen weiter kennenzulernen. Der Betrieb lag in der Nähe des Bahnhofs, gehörte allerdings nicht mehr unmittelbar zum Bahngelände. Judith lief eine trostlose Straße mit Garagengelände, einer Autowerkstatt und einem Kohlenhandel entlang. Dann folgte eine endlose, unverputzte Häuserwand, die an einem einfachen Werktor endete, an das
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