Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
Ermittlung stattgefunden, man war sich sicher, dass er in den Bergen umgekommen war, und er wurde für tot erklärt. Jahrzehnte später wurden seine sterblichen Überreste ganz in der Nähe des Hauses gefunden, in dem die Familie gelebt hatte, und die Wahrheit kam ans Licht.
Erlendur drückte eine weitere Zigarette aus, griff in seine Jackentasche und zog das Fundstück hervor, das einmal ein Spielzeugauto gewesen war, und stellte es auf das Armaturenbrett. Er hatte gezögert, es sich genauer anzusehen, denn er war sich völlig im Unklaren, ob es etwas bringen würde. Er starrte lange auf das arg mitgenommene Spielzeug, dessen ursprüngliche Farbe nicht mehr zu erkennen war. Er konnte sich nur zu gut erinnern, wie es vor langer Zeit einmal ausgesehen hatte, glänzend und leuchtend rot. Das Auto hatte weiße Räder und kleine Scheiben gehabt, und Kinderaugen konnten drinnen Sitze und ein winziges Lenkrad erkennen. Es hatte Bergur gehört. Erlendur konnte sich gut an den Tag erinnern, an dem es nach Bakkasel gekommen war. Sein Vater hatte in Seyðisfjörður bei einer Tanzveranstaltung gespielt, und als er wieder nach Hause kam, hatte er beiden Brüdern ein Spielzeug mitgebracht. Erlendur sammelte Zinnsoldaten, er bekam einen neuen für seine Sammlung, der eine Flinte mit Bajonett geschultert hatte. Der Soldat war ganz in Grün gekleidet, nur die Stiefel waren schwarz, und man konnte sogar die bleichen Gesichtszüge erkennen. Erlendur besaß sorgfältiger gearbeitete Zinnsoldaten als diesen. Die fahle Gesichtsfarbe war auch an den Helm geraten, die Hände waren grün wie die Uniform, und er konnte kaum aufrecht stehen. Bergur bekam das Auto und schloss es sofort ins Herz, klein und glänzend, wie es war, und mit allem Drum und Dran, sogar einem Lenkrad. Erlendur war zwar ganz zufrieden mit seinem Soldaten und stellte ihn ganz vorn in seiner Truppe auf, aber dennoch versetzte es ihm einen Stich, wenn er an Beggis Auto dachte.
Erlendur zündete sich eine weitere Zigarette an, inhalierte tief und betrachtete die Überreste des Spielzeugs auf dem Armaturenbrett. Seine Gedanken gingen zurück in die Vergangenheit, unterdessen glitt der riesige Frachter auf dem Fjord vorbei. In der herbstlich dunklen Abendstimmung erinnerte er an einen glitzernden Weihnachtsbaum, der diesem abgeschiedenen Ort neuen Wohlstand verhieß.
Er hatte versucht, Beggi dazu zu bewegen, das Auto gegen den Zinnsoldaten einzutauschen, aber für Beggi kam das überhaupt nicht infrage. Daraufhin hatte er ihm sogar drei Zinnsoldaten für das Auto angeboten, doch Beggi schüttelte nur den Kopf, spielte weiter mit seinem kleinen roten Auto, ließ es kaum aus den Augen. Als Erlendur einmal versuchte, es in die Hand zu nehmen, um es sich genauer anzusehen und damit zu spielen, verlangte Beggi es sofort zurück. Sie stritten sich normalerweise nicht, nur dieses eine Mal. Erlendur warf ihm das Auto zu, aber Beggi griff daneben, und es fiel auf den Boden. Beide waren erschrocken und untersuchten es ganz genau, ob es beschädigt worden war. Trotz weiterer verlockender Angebote gab Beggi sein Auto nicht her, und Erlendur musste sich damit abfinden.
Er drückte die Zigarette aus. Er hatte den Motor ausgeschaltet, und es war kalt und klamm im Auto geworden. Die Feuchtigkeit hatte sich an den Scheiben niedergeschlagen, sodass man nicht mehr hinaussehen konnte. Erlendur strich sich in dem schweren Zigarettenqualm hustend über die Lippen. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob dieses Auto wirklich einmal das Spielzeug von Beggi gewesen war. Das ließ sich nicht feststellen, und niemand wusste das besser als er. Wenn dieses verwitterte Stück Metall, das Ezra bei einem Fuchsbau am Harðskafi gefunden hatte, jedoch einmal das glänzend rot lackierte Auto von Bergur gewesen war, dann handelte es sich um das erste Indiz, das im Zusammenhang mit dem Schicksal seines Bruders je zutage gekommen war.
Der Streit zwischen ihnen hatte zwei Wochen vor den schicksalhaften Ereignissen stattgefunden.
Damals hatte er Bergur noch um sein Auto beneidet.
Zehn
Er hat sich in das Elternschlafzimmer geschlichen, weil er dort auf Trost und Hilfe hoffte, aber sein Vater reagiert überhaupt nicht. Er sitzt auf der Bettkante und rührt sich nicht, kalt und fern und schweigend – so war er manchmal. Eine Weile vergeht.
»Es wird alles wieder gut«, sagt Erlendur schließlich vorsichtig.
Jetzt ist er sehr viel ruhiger als vorhin, als er sich noch mit Zähnen und Klauen wehrte und
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