Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
starrte auf den Fußboden.
»Man hat hier kaum eine andere Abwechslung, als den Schritten auf dem Flur zu lauschen«, sagte er.
»Ich war auf dem Weg zur Tür«, sagte Erlendur. »Ich möchte aber, dass du eines weißt – ich bin nicht aus purer Neugierde hier, und auch nicht in meiner Eigenschaft als Kriminalbeamter. Ich suche nur nach Antworten. Ich habe mit deiner Tante Hrund gesprochen.«
»Ach ja? Die kenne ich gar nicht.«
»Nein, das weiß ich.«
Erlendur stand immer noch in der Tür.
»Was glaubst du, was mit Matthildur passiert ist?«, fragte Kjartan.
»Ich weiß es nicht«, sagte Erlendur und trat einen Schritt ins Zimmer. »Aller Wahrscheinlichkeit nach ist sie bei einem Unwetter auf dem Weg nach Reyðarfjörður ums Leben gekommen.«
»Meine Mutter und ich sind nicht sehr gut miteinander ausgekommen«, sagte Kjartan. »Ich bin schon früh von zu Hause ausgezogen. Ich weiß, dass es hart klingt, aber anders kann ich es nicht ausdrücken.«
»Du wusstest also, wer dein Vater war?«
»Ja.«
»Wann hast du herausgefunden, dass Jakob dein Vater war?«
»Hilft es dir weiter, wenn ich dir das sage?«
»Ich möchte mir ein umfassendes Bild verschaffen«, sagte Erlendur, der sich so vorsichtig wie möglich auszudrücken versuchte. »Alles spielt eine Rolle, vor allem das, was keine Rolle zu spielen scheint.«
»Sobald ich groß genug war, um selbst darüber nachdenken zu können, habe ich es herausgefunden«, erklärte Kjartan. »Ich habe es immer gewusst. Als ich in die Ostfjorde kam, war er schon lange tot. Ich habe ihn nie gesehen und hatte als Kind natürlich keinerlei Verbindung zu ihm. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich in die Ostfjorde ging, beide Elternteile stammten von hier, und meine Mutter hat immer sehr gut über die Menschen hier gesprochen.«
»Sie hat dir von Jakob erzählt?«
Kjartan nickte.
»Jakob hat wohl immer abgestritten, dass er mein Vater war«, erklärte er. »Warum, weiß ich nicht, vielleicht hatte es etwas mit seiner eigenen Vergangenheit zu tun, aber die kenne ich natürlich nicht. Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich glaube nicht, dass meine Mutter gelogen hat. Sie wusste im Grunde genommen wenig über ihn, und sein Name kam ihr kaum je über die Lippen, so groß war die Abneigung, der Hass. Du siehst, es ist ziemlich unerfreulich für mich, über diese Dinge zu reden.«
»Das verstehe ich sehr gut«, sagte Erlendur. »Du bist nach deinem Stiefvater als Halldórsson gemeldet.«
»Meine Mutter hat Glück gehabt, in Reykjavík einen so guten Mann kennenzulernen. Er ist immer nett zu mir gewesen.«
»Hat deine Mutter vielleicht später noch mal Verbindung zu Jakob aufgenommen?«
»Nein, auf gar keinen Fall«, erklärte Kjartan. »Das wäre undenkbar gewesen. Er hat sie von sich gewiesen, hat sich nie zu seinem Sohn bekannt. Ich verstehe sie gut, und ich trage ihr deswegen nichts nach.«
»Und was war mit Matthildur? Sie standen doch in Briefkontakt.«
»Davon wusste ich nichts. Sie ist ja auch sehr früh gestorben.«
»Matthildur erfuhr erst von der Beziehung zwischen deiner Mutter und Jakob, als deine Mutter ihr einen Brief geschrieben hat. Und da waren Jakob und Matthildur schon verheiratet. Dieser Brief hat verständlicherweise die Beziehung zwischen ihnen zerstört. Wie hat deine Mutter auf das Verschwinden von Matthildur reagiert? Was war ihrer Meinung nach passiert?«
»Hast du etwas Neues herausgefunden?«
»Nein«, sagte Erlendur. »Nichts.«
»Sie wusste nicht mehr als andere«, sagte Kjartan mit gesenktem Kopf und starrte auf seine abgewetzten Filzpantoffeln. »Es war natürlich ein schwerer Schlag für sie. Ich war noch ein Kind, aber daran kann ich mich erinnern. Aber so etwas gehört nun einmal dazu, wenn man auf Island lebt. Das war nichts Unbegreifliches für die Menschen, zumindest damals nicht. Und wahrscheinlich ist es immer noch so.«
»Es waren verschiedene Geschichten in Umlauf.«
»Ja, ja, einiges davon habe ich gehört, als ich hier in den Osten zog. Gehört das nicht auch dazu? All diese Klatschgeschichten. Meine Mutter hat nie daran geglaubt, und ihre Schwester auch nicht. Soweit ich weiß, war Jakob … wie soll man das sagen? Jakob war wohl kein sehr umgänglicher Mensch. Der Familie ist es sehr nahegegangen, dass sie sie nicht zu Grabe tragen konnten, weil ihre sterblichen Überreste nie gefunden wurden. Einmal hat meine Mutter gesagt, dass es schlimm sei, sie nicht wenigstens in geweihte Erde bringen zu
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