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Eisige Versuchung

Eisige Versuchung

Titel: Eisige Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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nicht in diese Kaschemme passten, an.
    »Wenn Roque seine Flügel entfalten würde«, dachte Shade, »ja, dann hättet ihr was zu gaffen!«
    Sie fühlte sich unwohl, doch statt in sich zusammenzusacken, straffte sie ihre Schultern. Dass Roque sie demonstrativ in seine Arme zog, damit alle im Raum sahen, dass sie zu ihm gehörte und er sie sich nicht streitig machen lassen würde, stärkte sie zusätzlich.
    Mit unverhohlenem Interesse musterten die zwei Männer, die um den Billardtisch in der hinteren rechten Ecke standen, Shade. Sie kreideten die Spitzen ihrer Queues etwas zu lange ein. Einer von ihnen bildete mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis, stieß den Holzstock immer wieder hindurch und lachte dabei dreckig, offenbar um sicherzugehen, dass sein Kumpel die obszöne Geste auch ja mitbekam.
    Neben Shade spannte Roque sich an. »Ganz ruhig!«, flüsterte sie ihm zu. Sie zog ihn mit zur Bar auf der linken Seite und ließ die drei Kerle, die an einem der Tische nebenan saßen und ihr Kartenspiel unterbrachen, um sie mit zusammengekniffenen Augen zu beobachten, nicht aus dem Blick. Münzen türmten sich neben ihren Bierflaschen auf.
    »Howdy«, begrüßte Shade den Barkeeper lockerer, als sie sich fühlte.
    Er legte die Tageszeitung weg, aber bevor er etwas erwidern konnte, rief ein Greis, der am anderen Ende der Theke saß: »Grizzly, noch einen!«
    Der Barmann schlurfte zu ihm, griff eine Flasche weißen Rum aus dem Regal an der Wand hinter ihm und goss das Schnapsglas des Alten voll. »Es wäre billiger, wenn du in den Supermarkt gehen würdest, statt eine ganze Pulle von hier zu kippen, Badger.«
    Dachs… Bär… das klang einfach zu lächerlich! Shade sah Roque an – bemüht, nicht laut loszuprusten. Wenn alle in diesem Lokal allerdings Spitznamen benutzten, schwand ihre Chance, Averells Identität ausfindig zu machen und in seinem Umkreis nach Joe zu suchen, gen null.
    Roque stellte sich dicht hinter sie, neigte sich zu ihrem Ohr hinab und sagte leise: »Hab keine Angst!«
    »Das habe ich nicht.« Über ihre Schulter hinweg lächelte sie ihn an.
    »Ach nein?« Seine Brauen wölbten sich.
    Sie zuckte mit den Achseln. »Du bist doch bei mir.«
    Zu ihrer Überraschung hauchte er einen Kuss auf ihr Haar. Das brachte sie einige Sekunden durcheinander. Dass er mit ihr schlief, war eine Sache – schließlich gehörte der Sex mit zu ihrer Vereinbarung –, dass er öffentlich seine Zuneigung zeigte, eine andere.
    Diese kleine süße Verwirrung war der Grund, weshalb Shade das Bier, das Grizzly vor ihnen auf die Theke stellte, nicht ablehnte, sondern nur anstarrte.
    »Ihr wollt doch etwas trinken, oder etwa nicht?« Der Barkeeper stützte sich auf der Theke ab und bedachte sie mit einem Gesichtsausdruck, der Shade an einen Eber, der sauer war, weil man seinen Weg gekreuzt hatte, denken ließ.
    Roque griff nach dem Coors und setzte es an seine Lippen. Als er die Flasche wieder abstellte, fiel Shade jedoch auf, dass sich genauso viel Flüssigkeit darin befand wie zuvor.
    Grizzly murrte und richtete seinen Oberkörper, wohl zufriedengestellt, wieder auf. Shade fand, dass er aussah wie eine männliche Medusa. Seine dunkelblonden Locken standen ungezähmt von seinem Kopf ab. Er war nicht dick, aber um seine Hüften herum unproportional füllig, stellte sie verwundert fest. Sein Kinn flatterte, als hätte sich die Haut von dem Fleisch und den Knochen darunter gelöst. Sie vermutete, dass er früher einmal recht füllig gewesen war und stark abgenommen hatte. Bei dem »Schwimmring«, der über der Schnalle seines Hosengürtels hing, konnte es sich um schlaffes Hautgewebe handeln.
    Fieberhaft überlegte sie, wie sie das Gespräch beginnen sollte. Mit der Tür ins Haus zu fallen und geradeheraus zu sagen: »Wir suchen einen Typen, der Gast bei Ihnen war«, hielt sie für unklug. Das würde jeden Gastronomen skeptisch machen – in solch einem Laden allerdings konnte das mitunter sogar gefährlich sein.
    Aus der Not heraus griff sie auf ihre alte Taktik zurück, setzte eine bedauernswerte Miene auf und erzählte erneut von der angeblichen Begegnung mit Averell in der Schutzhütte auf dem Mount Jackson. Das Detail mit dem Christophoruskreuz, auch wenn es nicht ganz korrekt war, behielt sie bei, denn diese dubiosen Kerle wussten bestimmt nichts über Heilige.
    Badger holte einen Kettenanhänger in der Größe eines Fingernagels unter seinem Pullover hervor. »Meinen Sie so eins?«
    »Nein, viel größer«, log sie und stöhnte

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