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Eisige Versuchung

Eisige Versuchung

Titel: Eisige Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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Vater geworden – kalt, verletzend und egozentrisch. Doch er hatte nicht nur sein eigenes Leben zerstört, sondern auch das von anderen, von guten Menschen. Wie sollte er damit nur leben können?
    Als Kingpin, der Tätowierer von nebenan, auf sein Motorrad, das neben dem blank polierten Flair Bird vor dem Laden parkte, stieg und davonfuhr, schaute Roque überrascht auf seine Uhr. Es war längst Feierabend. Der Ankäufer erwartete ihn in fünfzehn Minuten. Die Anlage, in der sich sein Maklerbüro befand, lag zwar am Stadtrand von Corpus Christi, aber der Weg nach Portland zog sich dennoch um diese Uhrzeit wie Gummi.
    Bevor er losfuhr, nahm er noch einige kräftige Schlucke von der Spirituose. Statt sie in die Schublade zurückzustellen, packte er die Flasche in seine Tasche, um zu Hause weiterzutrinken. Heute Nacht würde er sich volllaufen lassen. Er würde Dart-Pfeile auf das Foto seines Dads werfen, später zum Kiosk an der Straßenecke gehen und noch mehr Alkohol kaufen. Um schlafen zu können. Um zu vergessen. Um den Schmerz in seinem Inneren niederzuringen.
    Er torkelte zu seinem Coupé. Bittere Galle kroch seine Speiseröhre hoch, und er schluckte sie hinunter, doch sie stieg erneut auf. Diesmal spuckte er sie auf den Asphalt. Die Frisöse ein Geschäft weiter, die gerade die Haare einer Kundin recht unsanft frottierte und ihn dabei durch das Schaufenster hindurch beobachtete, schaute angewidert weg.
    Sein Schluckauf begann, als er sich auf den Fahrersitz seines Wagens fallen ließ. Er war betrunkener, als er geglaubt hatte. Aber er musste diesen Termin einhalten, sonst nahm der Autoliebhaber sein Angebot noch zurück.
    Mühsam wälzte Roque sich mit dem Feierabendverkehr hinaus aus Corpus Christi. Vor den Toren der Stadt löste der Stau sich glücklicherweise auf, und er gab Gas. Er ertappte sich dabei, wie er von dem Rum trank, und bekam ein schlechtes Gewissen. Aber er schob die Flasche nicht in seine Tasche zurück, sondern nippte erneut daran, weil der Rachenputzer verhinderte, dass die Tränen, die er innerlich hemmungslos weinte, nicht auch über seine Wangen liefen. Vergeblich. Seine Augen wurden feucht, und er blinzelte, doch er sah alles nur durch einen Schleier hindurch. Oder lag das am Fusel?
    Eher durch Zufall blickte er in den Rückspiegel. Sein Gesicht war längst nass, er flennte wie ein Kind, das das Jugendamt gewaltsam seiner Familie entriss, um es in ein Heim zu bringen, doch irrsinnigerweise lachte er immer wieder. Er wusste selbst nicht, warum. Vielleicht wurde er über all das Leid, das er den Cusacks gebracht hatte, verrückt.
    Die goldbraune Flüssigkeit schien nicht zu helfen. Roque fühlte sich immer noch elendig. Also trank er noch mehr und steckte die Flasche zwischen seine Beine. Sein Fuß lag wie Blei auf dem Gaspedal. Noch ein letztes Mal wollte er den 1966er voll ausfahren.
    Zärtlich strich er über das Armaturenbrett. Dann schlug er darauf, als wollte er den Wagen bestrafen. Seine Hand tat so weh, dass er im ersten Moment glaubte, sich den kleinen Finger gebrochen zu haben.
    Er schrie auf, schüttelte sie und verzog das Gesicht.
    Die Flasche kippte um, der Alkohol ergoss sich über seinen Schoß.
    Roque verriss das Lenkrad.
    Sein Coupé fuhr auf die Gegenfahrbahn.
    Das Letzte, was er in seinem Leben als Mensch sah, war das Emblem des US Forest Services auf der Windschutzscheibe des entgegenkommenden Geländewagens und das Gesicht eines bulligen glatzköpfigen Farbigen mit vor Schrecken geweiteten Augen. Das Maskottchen Smokey Bear winkte ihm auf dem Sticker fröhlich zu, als wäre der Bär glücklich darüber, dass Roque endlich von diesem Planeten verschwand.

Fünfundzwanzigstes Kapitel
    Der Tod besaß Flügel
    Als Shade erwachte, spürte sie als Erstes die starken Schmerzen in ihrem Nacken. Eine Stelle seitlich an ihrem Hals brannte, als hätte sie dort ein Insekt mit einem Stachel, so groß wie ein Zahnstocher, durchbohrt und ihr eine aggressive Flüssigkeit injiziert. Ansonsten schien es ihr gut zu gehen. Lediglich ihre Arme konnte sie nicht bewegen.
    Alarmiert riss sie ihre Augen auf, sah aber nur eine Zimmerdecke aus dicken Holzbalken. Ächzend hob sie ihren Kopf an. Sie schaute prüfend an sich hinab. Keine Wunden, sie trug ihre Kleidung noch, so weit schien sie in Ordnung zu sein – bis auf die Tatsache, dass sie an einen massiven Stuhl mit Beinen, so dick wie ihre Oberschenkel, gefesselt war. Die Pein in ihrem Rücken rührte lediglich von der unbequemen

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