Eisiger Dienstag: Thriller - Ein neuer Fall für Frieda Klein 2 (German Edition)
herumzutragen, das ich Leuten wie Ihnen überreichen könnte. Darauf wäre zu lesen, dass viele wissenschaftliche Studien, die den Menschen am Ende helfen, von Männern und Frauen durchgeführt werden, die der Wissenschaft nur um der Wissenschaft selbst willen dienen, und dass man andererseits nicht automatisch dazu beiträgt, den Leidenden zu helfen, indem man mit Trauermiene herumläuft und ihr Leiden beweint. Wobei das ein bisschen zu viel Text für ein kleines Kärtchen wäre, aber Sie wissen schon, was ich meine.«
»Es tut mir leid«, sagte Frieda. »Sie haben Ihren freien Tag geopfert, um mit einer wildfremden Frau diese weite Fahrt zu machen. Das allein war schon eine gute Tat.«
Seine Gesichtszüge entspannten sich. »Sie sollte ein Einzelzimmer bekommen.«
»Meinen Sie?«
»Ja, unbedingt. Dass hier so viele Leute um sie herumwuseln, tut ihr bestimmt nicht gut. Sie braucht Ruhe.«
»Ich werde mich erkundigen, ob das geht«, antwortete Frieda. Sie klang skeptisch.
Berryman machte eine wegwerfende Handbewegung. »Überlassen Sie das mir. Ich kümmere mich darum«, erklärte er leichthin.
»Wirklich?«
»Ja.«
Er musterte Frieda einen Moment. »Sie arbeiten mit der Polizei zusammen?«
»Nur ganz am Rande.«
»Wie kam es dazu?«
»Das erzähle ich Ihnen ein andermal«, antwortete Frieda, »es ist eine wirklich lange Geschichte.« Sie wandte sich Michelle Doyce zu, die nicht wieder nach ihrer Zeitschrift gegriffen hatte, sondern apathisch vor sich hin starrte. Plötzlich musste Frieda an etwas ganz anderes denken. »Dieses Syndrom«, begann sie.
»Welches?«
»Das, bei dem die Leute glauben, ein von ihnen geliebter Mensch wäre ausgetauscht worden.«
»Das Capgras-Syndrom.«
»Für die Betroffenen muss das entsetzlich sein«, sagte Frieda. »Ich meine, so entsetzlich, dass wir uns das gar nicht richtig vorstellen können.«
Als sie in den Eingangsbereich zurückkehrten, hielt Frieda Berryman auf. »Würden Sie noch einen Moment auf mich warten?«
»Habe ich eine andere Wahl?«
»Danke.«
Frieda ging in den Klinikladen. Es gab dort Regale voller Zeitschriften, Fächer mit Chips, Süßigkeiten und ungesund aussehenden Getränken, eine armselige Sammlung schrumpeliger Äpfel und ausgetrockneter Orangen, ein paar Sudoku-Bücher und ganz hinten in der Ecke einen Korb mit Spielsachen. Frieda ging hinüber und begann darin herumzuwühlen.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte die Frau an der Ladentheke. »Suchen Sie etwas Bestimmtes?«
»Einen Teddybären.«
Die Gesichtszüge der Frau wurden weich. »Sie haben ein Kind da drin«, stellte sie fest. Frieda widersprach ihr nicht. »Ich fürchte, richtige Teddys haben wir nicht, dafür aber eine sehr beliebte Puppe, die schreit, wenn man sie aufsetzt.«
»Ich glaube, die kommt nicht infrage.«
Frieda zog einen grünen Samtfrosch mit Glupschaugen hervor, dann eine Stoffpuppe mit langen, spindeldürren Beinen, schließlich eine kleine, schäbig wirkende Schlange. Ganz unten im Korb stieß sie auf einen flauschigen Hund mit weichen Schlappohren und Knopfaugen. »Der dürfte richtig sein.«
Sie rannte die Treppe zur Station hinauf und blieb am Empfang stehen.
»Könnten Sie diesen Hund bitte Michelle Doyce in Bett sechs geben?«
»Möchten Sie ihn ihr denn nicht selbst bringen?«
»Nein.«
Die Schwester zuckte mit den Achseln. »Wie Sie wollen.«
Frieda wandte sich zum Gehen, blieb aber an der Doppeltür stehen. Von Michelle unbemerkt, verfolgte sie, wie die Schwester ihr den Hund in die Hand drückte. Frieda beobachtete sie aufmerksam: Michelle setzte den Hund neben sich aufs Kissen und nickte ihm respektvoll zu. Dann streckte sie einen Finger aus und berührte scheu lächelnd seine Nase. Als sie schließlich nach ihrem Wasserglas griff und es ihm unter die Schnauze hielt, lag auf ihrem Gesicht ein Ausdruck zärtlicher Fürsorge und nervösen Glücks. So wenig war nötig gewesen, um sie glücklich zu machen. Frieda schob die Flügeltür auf und glitt hinaus.
An manchen Tagen schlief sie. Sie wusste, dass das falsch war, aber wenn sich diese lähmende Trägheit in ihr breitmachte, rollte sie sich zu einer Kugel aus Körper, dicker Kleidung und feuchtem Haar zusammen, schloss die verklebten Augen und ließ sich hinabsinken in düstere Träume, dunkelgrünen Tang und weichen, schwebenden Schlamm. Dabei war ihr halb bewusst, dass sie schlief: Ihre Träume vermischten sich mit dem, was um sie herum vorging – den Schritten auf dem Treidelpfad und den
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