Eisiges Blut
einem schrägen Winkel herantasten und das Beste hoffen. Er riss das Staufach des Schneemobils auf und packte das Seil und einen Flaschenzug. Doch er war noch keine zehn Schritte weit gekommen, da neigte sich das hintere Ende des Schlittens in die Höhe wie das Heck eines sinkenden Schiffes, während Sinclair sich noch immer an den Lenker klammerte. In dieser Position
verharrte der Schlitten eine oder zwei Sekunden und rutschte dann außer Sicht.
»Eleanor!«, schrie Michael, schlug alle Vorsicht in den Wind und rannte über die unebene Fläche aus Schnee und Eis, wobei er den größten Teil der Strecke rutschend und schlitternd zurücklegte. Als er sich dem Rand der Gletscherspalte näherte, ließ er sich auf alle viere nieder und kroch zur Kante, entsetzt bei der Vorstellung, was er gleich zu sehen bekäme.
Die Spalte war eine tiefe blaue Schlucht im Eis, aber der Schlitten war nur etwa drei Meter tief gefallen, ehe er sich zwischen den engen Wänden verkantet hatte. Die Hunde hingen unter ihm. Diejenigen, die noch am Leben waren, wanden sich in ihren Geschirren. Ihr Gewicht und der verzweifelte Kampf drohten den Schlitten ganz in die Tiefe zu reißen.
»Schneiden Sie die Leinen durch!«, rief Michael. »Auch die Führungsleine!«
Von seinem Platz am hinteren Teil des Schlittens warf Sinclair einen zweifelnden Blick nach oben. Dann zog er seinen Degen und begann, die Leinen durchzuschlagen, die sich in seiner Reichweite befanden.
Eleanor lag immer noch zusammengekauert im Schlitten, ihr Gesicht war vollkommen von der Kapuze bedeckt.
Zuerst einer, dann immer mehr Hunde stürzten in die Tiefe, prallten links und rechts gegen die Eiswände und schlugen mit einem platschenden Geräusch hart auf den nassen und unsichtbaren Boden der Spalte auf. Ein paar Mal hallte ein gequältes Jaulen vom Grund der blauen Schlucht wider, schließlich war auch das vorbei.
Hastig wickelte Michael sich das Seil um einen Arm, knüpfte eine Schlaufe und ließ sie in den Abgrund hinunter.
»Eleanor«, sagte er. Er lag auf dem Bauch, und nur sein Kopf und die Schultern ragten über den Rand. »Ich möchte, dass du dieses Seil um deine Schultern legst und dann festziehst.«
Die Schlaufe hing wie eine Schlinge über ihrem Kopf, so dass sie es schaffte, aus der Kapuze herauszuspähen, mit den behandschuhten Händen danach zu greifen und sie zu packen.
»Sobald du damit fertig bist, möchte ich, dass du so vorsichtig wie du kannst aus dem Schlitten kletterst.«
Sinclair hieb eine weitere Leine durch, und ein weiteres Paar erhängter Hunde stürzte in die blaue Tiefe. Trotzdem sackte der Vorderteil des Schlittens, der ohnehin etwas tiefer im Eis steckte als der hintere Teil, noch ein paar Zentimeter weiter nach unten.
»Ich habe es festgemacht«, sagte Eleanor. Ihre Stimme wurde von der Kapuze gedämpft.
»Gut. Jetzt halt dich fest.«
Er hätte alles für irgendeine Art von Anker gegeben, einen Stein, ein Schneemobil, irgendetwas, um das er das Seil hätte binden können. Doch alles, was er hatte, war sein eigener Körper. Er rutschte ein Stück zurück, setzte sich auf, bohrte die Absätze seiner Schuhe in den festen Schnee und begann, am Seil zu ziehen. Seine Schulter machte sich schmerzlich bemerkbar.
»Benutze deine Füße, wenn du kannst, um an der Wand Halt zu finden und aus dem Schlitten zu klettern.«
Eleanor verlor den Kontakt zum Schlitten und begann sofort hin und her zu pendeln. Er hörte sie stöhnen, dann sah er, wie sich die Spitzen ihrer schwarzen Stiefel in die Oberfläche des Eises bohrten und ihr Halt gaben. Noch einmal wickelte er das Seil um seinen Arm und zog. Er spürte die Anspannung der Sehne und der Gedanke:
Nicht jetzt, spring nicht jetzt wieder raus!,
ging ihm immer wieder durch den Kopf.
Sie war etwa einen Meter höher geklettert, als ihre Füße plötzlich vom Eis abglitten und sie erneut frei in der Luft pendelte.
»Michael!«, schrie sie, als sie über dem Schlitten hing, den gähnenden Abgrund unter sich. Michael bohrte seine Absätze noch tiefer in den Schnee, doch er hatte nicht genügend Bodenhaftung
und rutschte selbst auf die Spalte zu. Seine Arme zuckten unkontrolliert. Gerade, als er glaubte, sie keine Sekunde länger halten zu können, beugte Sinclair sich über den Lenker, hielt die Hände in den dicken Handschuhen unter Eleanors Schuhe und schob sie nach oben. Obwohl das Gesicht des Leutnants von der schwarzen Skimaske und der Schutzbrille verdeckt wurde, konnte Michael sich gut
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