Eisiges Feuer (German Edition)
begann wieder zu weinen, was an seinen Nerven zerrte, darum beeilte er sich, von ihr zu entfliehen.
„Anniz, du schläfst heute Nacht mit dem Kind im Nebenraum“, ordnete er an, als er zu der Amme trat, die gemeinsam mit der Wehenfrau und mehreren Dienerinnen draußen vor der Tür wartete. „Meine Gemahlin ist sehr geschwächt, ihre Nerven sind zerrüttet. Das Weinen des Kindes wäre schon zu viel für sie. Die Kammerdienerinnen werden dir gerne helfen. Vielleicht könnt Ihr“, wandte er sich dann an die Wehenfrau, „einen Schlaftrunk für sie bringen? Etwas, was sie beruhigt und ihr Kraft schenkt.“
Sie nickte, maß ihn dabei mit einem wissenden Blick, ohne ihre Gedanken auszusprechen. Ihr war klar, dass Elynes Leid nicht mit Schlaf geheilt werden konnte.
Lys machte sich auf den Weg in seine Schreibkammer. Es galt, die Pflichtbriefe zu schreiben, die alle wichtigen Beteiligten über die Geburt seines Erbens informierte.
Lys drehte sich ruhelos von einer Seite zur anderen. Obwohl ihn das Warten auf die Geburt bereits so viel Schlaf gekostet hatte, fand er auch in dieser Nacht keine Ruhe. Ein Tag war sein Sohn nun auf der Welt, er wurde gut versorgt. Elyne hatte sich heute etwas zugänglicher gegeben, das Kind für einige Zeit an sich genommen. Nun konnte er selbst nichts weiter tun, als abzuwarten. Würden seine Feinde angreifen? Wenn ja, würde es eine Intrige werden? Ein Giftanschlag? Vielleicht erklärte ihm auch einer der rangniederen Landesherrscher den Krieg, als willige Marionette für Maruv oder Archym? Oder würden nun alle darauf lauern, welchen Schritt er als Nächstes geplant hatte, ob er Attentate auf Lichterfels oder den König wagen könnte? War Archym wirklich so besänftigt, wie Lys noch bei der Feier geglaubt hatte? Und Maruv, er war und blieb die größte Gefahr!
Ich war viel zu nachlässig, Elyne hätte das Kind nicht hier bekommen dürfen. Nicht nach dem Anschlag.
Vor einigen Tagen war ein Feuer ausgebrochen, das den gerade neu errichteten Wachturm im Südteil der Burg zerstört hatte. Mehrere Arbeiter waren dabei verletzt worden. Einen Beweis gab es nicht, dennoch war Lys sich sicher, dass dies ein gezielter Anschlag gewesen war, um die Verteidigung von Weidenburg zu schwächen. Das konnte bedeuten, dass seine Feinde ihn zu überhasteten Schritten provozieren wollten. Das konnte aber genauso gut auf einen nahenden Angriff hinweisen.
Seufzend stand er auf, an Schlaf war im Moment nicht zu denken.
Nur mal frische Luft schnappen, dachte er und warf sich einen dünnen Umhang über. Daneben lag sein Bogen und der gefüllte Köcher.
Ich könnte ja mal wieder im Dunkeln üben. Die Nacht ist hell.
Er hielt den Bogen schon in der Hand, doch dann ließ er ihn wieder sinken.
„Was soll das?“, fragte er sich selbst verwundert. Gute Pfeile waren teuer und nicht leicht herzustellen. Im Dunkeln würden viele verloren gehen, was sinnlose Verschwendung wäre. Außerdem wollte er doch schlafen, Schießübungen hatten Zeit bis morgen.
Was ist mit mir? Ich sollte zurück ins Bett!
Das Gefühl, dass irgendetwas nicht in Ordnung war, hielt ihn auf. Lys strengte seine Ohren an, lauschte auf jedes verdächtige Geräusch, doch alles war still.
Zu still.
Wo war das Stimmengemurmel der Wachen? Das Schnauben der Pferde im Stall, das er sonst stets durch das offene Fenster hörte?
„Himmelsvaters Gnade, ich sehe schon in jedem Schatten einen Seelenfresser!“
Um sich selbst zu befrieden, schnallte er sein Schwert um, griff nach Bogen und Köcher und schlich sich hinaus, um ja niemanden zu wecken.
Wenn einer dumme Fragen stellt? Ay, ich bin der Herr dieser Burg, wenn ich in finsterster Nacht einen bewaffneten Rundgang mache, dann ist das so!
Lys überquerte den Innenhof und eilte zur Südmauer. Wenn überhaupt, würde ein Angriff von dort erfolgen, da hier die Verteidigung geschwächt war.
Das unruhige Gefühl verstärkte sich, als Lys die Verteidigungsanlagen erreichte und sie verwaist vorfand. Wo waren die Soldaten, die hier Wache stehen sollten?
Fieberhaft dachte er nach – heute Nacht hatten jene Männer, die Maruv ihm überlassen hatte, in diesem Abschnitt Wachdienst. Er fluchte lästerlich über das kranke System, das ihn zwang, Soldaten von seinen ranghöheren Feinden in den Dienst zu nehmen, und nur zwanzig eigene Männer pro Jahr anwerben und ausbilden zu dürfen. Eine weitere Maßnahme, die den zu raschen Aufstieg junger Adliger verhindern sollte, sie aber genau dadurch anfällig
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