Eiskalt Wie Die Suende
Schussverletzung war?â, wollte Will wissen. âWurde Cassidy aus nächster Nähe erschossen oder erfolgte der Schuss aus gröÃerer Entfernung?â
âNein, davon hat er nichts gesagtâ, meinte Chloe nach kurzem Zögern. âNur, dass das Projektil so aussehe, als stamme es aus Colins Waffe.â
âDas ist Unsinn. Es könnte genauso gut aus jedem anderen Revolver mit demselben Kaliber abgefeuert worden seinâ, wandte Nell ein, die an das Geschoss denken musste, das sie letzten Sommer im Schlafzimmer der ermordeten Virginia Kimball gefunden hatten. âEin abgefeuertes Projektil ist oft so stark verformt, dass sich seine einstige GröÃe kaum mehr mit Sicherheit bestimmen lässt.â
âIch würde mir die Kopfwunde ja gern mal ansehenâ, meinte Will an Nell gewandt. âFalls man ihn nicht bereits beerdigt hat, was ich für unwahrscheinlich halte, müsste er noch in der Leichenhalle des Massachusetts General liegen. Vielleicht könnten wir heute Nachmittag in Isaacs Büro vorbeischauen und ihn fragen, ob er uns einen kurzen Blick auf den Leichnam werfen lässt.â
âUnser Freund Isaac Foster ist stellvertretender Dekan der medizinischen Fakultät von Harvardâ, erklärte Nell Chloe. âDr. Hewitt lehrt dort.â
â Hat dort gelehrtâ, berichtigte Will. âWeshalb ich auch Isaac bitten muss, uns Zugang zur Leichenhalle zu gewähren. Seitdem ich nicht mehr lehre, kann ich auch nicht mehr die Privilegien eines Professors in Anspruch nehmen.â Dann beugte er sich vertraulich vor und fragte Chloe: âJetzt mal ganz unter uns, Mrs. Cook, halten Sie es für möglich â wenn auch für unwahrscheinlich, so doch für möglich â, dass Ihr Mann diesen Cassidy umgebracht haben könnte?â
Chloes Zögern sagte mehr als alle Worte. Ihr Blick schweifte zwischen Will und Nell hin und her, bevor sie die Augen niederschlug und angelegentlich ihre Hände betrachtete. âIch weià ehrlich gesagt nicht mehr, was ich denken soll. Alles, was ich wirklich weiÃ, ist, dass er mein Mann ist, dass ich ihn liebe und mir nur wünsche, dass er wieder wohlbehalten nach Hause kommt. Alles andere ⦠kümmert mich nicht. Was immer auch geschehen sein mag, es ist vergessen und vorbei. Ich will nur, dass er wieder bei mir ist.â
6. KAPITEL
âAch, du liebe Güteâ, murmelte Ebenezer Shute, als er Chloe Cooks kurzes Empfehlungsschreiben las. Darin hatte sie in knappen Worten dargelegt, dass ihr Mann des Mordes beschuldigt werde und untergetaucht sei, dass Nell und Will versuchten, ihm zu helfen und dass beide ihr uneingeschränktes Vertrauen besäÃen.
Shute war von schlanker Statur und hatte dunkles, glänzendes Haar, das er aus der hohen Stirn zurückgekämmt trug â ein gut aussehender Mann trotz der Narben um sein linkes Auge. Zudem war das Glasauge äuÃerst kunstvoll gefertigt und allein dadurch als künstlich zu erkennen, weil die Iris der raschen Bewegung seines Blickes nicht folgte, während Shute den Brief überflog.
âArme Chloe.â Er schüttelte den Kopf und schien von dieser unerwarteten Entwicklung der Ereignisse recht mitgenommen. âWann ist denn das passiert? Vorgestern Abend?â
âGanz genauâ, sagte Will, der neben Nell in einem der Ledersessel vor Shutes Schreibtisch Platz genommen hatte. Das Büro des Pfandinspektors war mit dunklem Eichenholz getäfelt und wirkte überraschend anheimelnd. âSie hatten noch nicht davon gehört?â
Mit einem finsteren Nicken meinte Shute: âSo ist es. Gestern war ich den ganzen Tag oben in Fort Hill und habe mich bei den Pfandleihern umgesehen, heute saà ich den ganzen Tag an meinem Schreibtisch und habe Papierkram erledigt. Als die Kriminalpolizei hier noch gleich nebenan untergebracht war, wusste ich immer, was in dieser Stadt so vor sich geht â zumindest dann, wenn es krimineller Natur war. Colin hielt mich tagtäglich auf dem Laufenden, und ich muss sagen, dass das eigentlich ganz abwechslungsreich war. Aber jetzt â¦â
âWie oft sehen Sie Detective Cook denn noch?â, fragte Nell.
âNicht so oft, wie wir beide es uns wünschen würden, aber was will man da machen? Ich arbeite tagsüber und Colin ⦠nun, um ehrlich zu sein, so kann ich Ihnen gar nicht sagen, wie seine offiziellen Arbeitszeiten sind. Aber ich
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