Eiskalt Wie Die Suende
Nell sehen, dass der Hof recht klein und von Unkraut überwuchert war. Von der Gasse hinter dem Haus führte ein schmaler Trampelpfad durch den Hof bis zu den Stufen vor der Kellerwohnung. Der Abort war aus Holz gebaut, der Hühnerstall aus Stein mit einer breiten Doppeltür und einer Reihe kleiner Fenster mit geschlossenen Läden. Rechts von der Kellertreppe war ebenerdig das kleine Fenster der Wohnung, die Scheibe schmutzig und gesprungen, links der Treppe befand sich eine Kohlenluke, die mit einer verrosteten Metalltür verschlossen war. Form und GröÃe lieÃen Nell vermuten, dass dort früher ebenfalls ein Fenster gewesen war.
Aus dem Saloon drang lauter Applaus nach drauÃen, und jemand rief: âHolt die Mädels auf die Bühne!â Andere Männer stimmten begeistert ein, pfiffen und johlten, stampften mit den FüÃen auf den Tanzboden.
âIst diese Tür denn immer verschlossen?â Nell drehte sich wieder zu Denny um und ertappte ihn dabei, wie er hastig den Blick von ihrem Dekolleté wandte. Sie warf Will einmal mehr einen finsteren Blick zu. Der schien sich indes ein Lächeln verkneifen zu müssen.
âÃhm, jaâ, meinte Denny achselzuckend und schaute zu Boden. âIch meine, denk ich mir mal. Mary und Johnny hatten ja die Schlüssel. Bei dem Gesindel, was sich hier so rumtreibt, werden sie wohl immer abgeschlossen haben. Würdâ ich zumindest machen.â
âHat Mutter Nabby möglicherweise ein Duplikat der Schlüssel?â, fragte Will und fügte schnell noch erklärend hinzu: âIch meine, hat sie einen Zweitschlüssel zu der Wohnung?â
âJa, klar. Sie hat Zweitschlüssel zu allen Türen hier. In ihrem Schreibtisch hat sie Hunderte von Schlüsseln. Und ich weià selber, was âDuplikatâ bedeutet â ich bin ja nicht blöd. Ich bin nämlich sieben Jahre zur Schule gegangen und habe nicht einen einzigen Tag versäumt.â
Drinnen gingen die ersten Takte des Pianisten im lauten Gegröle unter. Als der Lärm sich etwas gelegt hatte, erkannte Nell die stürmische Melodie des Höllenritts aus Offenbachs Operette â Orpheus in der Unterweltâ.
âGehst du noch immer zur Schule?â, fragte sie Denny.
âNee. Meine Mutter und meine Schwester haben die Pocken erwischt und sind gestorben. Da warâs nix mehr mit der Schule, da musste ich für mich selber sorgen. Wenn ich hier für Mutter Nabby Besorgungen und so was mache, hab ich wenigstens was zu essen und ein Dach über dem Kopf. Entweder das oder ab ins Armenhaus, aber ins Armenhaus bekommen mich keine zehn Pferde.â
âDas kann ich gut verstehenâ, sagte Nell.
âIch verdiene mir meinen Unterhalt selbstâ, fuhr Denny fort, und in seiner Stimme schwang unverkennbarer Stolz mit. âIch bin nämlich ein Delaney, und meine Mutter hat immer gesagt, wir Delaneys hatten es noch nie nötig, auch nur einen einzigen Cent von der Fürsorge anzunehmen, und werden es auch niemals tun.â
âFehlt dir die Schule denn?â, fragte Nell weiter, denn sie hatte das Buch nicht vergessen, in das er vorhin ganz versunken gewesen war.
âAch, das war schon in Ordnung.â Er sah beiseite und schob unmerklich sein Kinn vor. âDoch, eigentlich hat es mir da ganz gut gefallen. Ich meine, Lesen und Schreiben hat mir gefallen, und dass man was über andere Länder lernt, aber diese ⦠eingebildeten Lehrerinnen konnte ich nicht leiden. Die haben uns Iren wie den letzten Dreck behandelt. Morgens mussten wir protestantische Gebete aufsagen, und bekreuzigen durften wir uns natürlich auch nicht, sonst setzte es was mit dem Rohrstock. Sie sagten uns, wir wären dumm und unwissend und müssten endlich lernen, wie man richtig betet, aber als ich dann Pater Gorman gefragt habe, meinte er nur, unsere Art zu beten wäre schon die richtige, und die von denen wäre falsch.â
âAlles ziemlich verwirrend, kann ich mir vorstellenâ, meinte Nell.
âFür mich nicht. Ich bin katholisch, meine Eltern warenâs auch und deren Eltern und immer so weiter. Die Delaneys waren vor Hunderten von Jahren schon katholisch, warum sollte ich da auf einmal was anderes werden wollen? Meinetwegen können die mich in der Schule beten lassen, was sie wollen, aber hier drinâ, stolz schlug er sich mit einer ziemlich schmutzig aussehenden Hand auf die Brust, âwird
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