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Eiskalte Angst

Eiskalte Angst

Titel: Eiskalte Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Farmer
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hatte, dessen Kahlkopf feucht schimmerte.
    Wie es die Zeremonie verlangte, war der Schauspieler dem Kristall am nächsten. Er warf seine Arme hoch über den Kopf, wurde von einer unsichtbaren Faust nach hinten geschleudert und lag wie ein verletzter Vogel auf dem Rücken.
    Der große Dragus hatte währenddessen keine Sekunde lang aufgehört, seine Beschwörungsformel zu murmeln. Nun schwoll seine Stimme an. Es schien, als sei er der einzige, der von der Schwingung des Kristalls unberührt blieb. Mit einem fremdartigen Zischlaut brach der Meister ab.
    Licitus wusste, was nun geschehen würde.
    Dies war der spannendste Moment.
    In freudiger Erwartung kniff er seine Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.
    Das blaue Licht des Kristalls verlosch. Stattdessen spritzten Funken von seiner glatten Oberfläche, als habe man hundert Wunderkerzen gleichzeitig entzündet. Ein helles, kaum wahrnehmbares Summen kam von dort, wo der Kristall lag, denn er war die Quelle der Funken, die in alle denkbaren Spektrale wechselten, wie winzige in Stein gefangene Regenbögen und sich zu einem einzigen großen pulsierenden Licht sammelten.
    Die Zuschauer stöhnten ehrfürchtig und einige von ihnen sanken in die Knie.
    Das Gesicht des großen Dragus war hinter dem Kristall in flackernde Farben getaucht, was dem Meister ein geheimnisvolles Aussehen verlieh.
    Das pulsierende Licht wehte zu dem Schauspieler hin und legte sich wie eine flimmernde weiße Decke um den Körper des Liegenden, der in diesem Moment aufschrie und dessen Körper wie ein verrückter Schattenriss zuckte, bebte und sich wie von Fäden gezogen aufrichtete.
    Das unhörbare Vibrieren verstärkte sich und einige der Zuschauer sanken auf die Knie und suchten Schutz unter ihren über die Köpfe geschlungenen Armen.
    »Sei einer von uns!«, donnerte der große Dragus, sprang auf und hielt seine geballten Fäuste von sich gereckt. Der Schauspieler jammerte elendig, sein Körper wand sich wie der einer gefangenen Schlange und mit einem Mal saugte er das Licht regelrecht in sich auf. Dumpf klatschte der Schauspieler, der nun ein Oberer war, vornüber und blieb regungslos liegen.
    Der Kristall beruhigte sich und verlosch flackernd wie eine Kerze.
    In der Höhle war es so still, dass man das Tropfen geschmolzenen Eises hören konnte. Auch der große Dragus schwieg, setzte sich wieder, strich mit einer theatralischen Geste über seinen glänzenden Schädel und musterte mit regungsloser Miene den Geadelten. Dann nickte er Licitus zu, der sich in Bewegung setzte und dem Schauspieler auf die Beine half. Unter Licitus’ Fingern knisterten feine Energieströme, als er den Körper des Oberen anfasste. »Du hast es geschafft! Von nun an wirst du heilen, verändern und wachsen. Du hast die höchste Ebene erreicht. Nun bist du klar.«
    Applaus brandete auf und der Schauspieler verneigte sich. Sein Körper zitterte noch etwas, aber von Sekunde zu Sekunde schien er mehr Kraft in sich aufzunehmen, denn seine Schultern strafften sich und sein Blick wurde hart und selbstbewusst.
    Licitus trat zurück und der Schauspieler schritt an ihm vorbei, um sich in die Gruppe der Applaudierenden einzureihen. Nun drehten sich alle zum großen Dragus hin, der Applaus wurde noch etwas lauter und der so Gehuldigte beugte lächelnd seinen Kopf.
    Alle Augen waren auf den großen Dragus gerichtet, und niemand bemerkte den Mann und die Frau, die soeben die Höhle betreten hatten.
     
     

21
     
     
    April hatte keinen Blick für die zauberhafte Natur.
    Sie wollten den Löwen in seiner Höhle besuchen - und vernichten.
    Es war ein verrückter Plan und ein gefährlicher außerdem. Aber es war die einzige Möglichkeit, die Fernsehübertragung zu verhindern. April hatte sich nie für eine Heldin gehalten, deshalb fand sie es seltsam, dass sie bei Marcos Plan mitmachte, immerhin standen die Chancen nicht schlecht, ihren Mut mit dem Leben zu bezahlen. Einen Herzschlag lang zweifelte April an dem, was sie tun wollte. Es schien zwar schlüssig, dass Marco seinen Bruder und das, was man ihm selbst angetan hatte, rächen wollte, aber was hatte sie damit zu tun? Sie war nur eine Touristin, die sich ein paar schöne Wochen hatte machen wollen ... aber ihr Gefühl für Marco war zu stark, was letztendlich den Ausschlag gab!
    Sie kamen an der Bergstation Jungfraujoch an. Hier oben, mehr als 4000 Meter über dem Meeresspiegel, strahlte die Sonne, und sie konnten auf die Wolken hinabblicken, die wie kleine weiße Watteschiffe über

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