Eiskalte Rache: Thriller (German Edition)
gelacht. Pia Levin schmunzelte, als sie an ihre Unterhaltung dachte, sie erinnerte sich aber kaum noch, worüber sie gesprochen hatten.
Sie setzte ihren Weg fort, beschleunigte ihre Schritte durch den Schneematsch und spürte, wie kalt es geworden war. Sie ging noch schneller und hatte bald die Bushaltestelle erreicht.
Es war Zeit, mit der Arbeit zu beginnen. Levin fuhr nach Hause, zog sich um, und nach einem kurzen Besuch im Präsidium saß sie in einem Dienstwagen auf dem Weg zu der verhassten Vernehmung.
Genau wie sie angenommen hatte, dauerte die Fahrt keine Stunde. Sie fuhr langsamer, als sie sich dem Zentrum des kleinen Ortes näherte. Zumindest nahm sie an, dass es sich um das Zentrum handelte, da eine Reihe Stecken, gekrönt von überdimensionierten, absonderlichen schwarzen und roten Holzkonstruktionen, die Hauptstraße säumten, als sollte dadurch markiert werden, dass man irgendwo hineinfuhr. Ungefähr wie ein mittelalterliches Stadttor, jedoch nicht so dauerhaft.
An der Straße durchs Zentrum parkten nur wenige Autos. Einige Läden lagen in einem Gebäude aus weißglasierten Ziegeln. Eine Pizzeria, ein Süßwarenladen, ein Blumengeschäft und ein Geschäft für Schnickschnack. Gegenüber lag der Lebensmittelladen des Ortes, ebenfalls in einem Gebäude aus weißem Backstein. Dann kam ein größeres, schmutzig grau verputztes Gebäude, das aussah wie ein Ärztehaus oder vielleicht auch ein Altenheim. Ein Parkplatz lag am Ende der Straße, danach nur noch verstreute Einfamilienhäuser.
Sie gab die Adresse in ihr Navi ein und folgte den Anweisungen der nasalen Frauenstimme. Auf einer kurvigen Straße wurde sie aus dem Ort und durch weite Felder mit Schneeverwehungen gelotst. Ab und zu wurde das Weiß von Bäumen unterbrochen, Reste eines vor langer Zeit abgeholzten Tannenwalds. Nach einigen Kilometern ahnte sie vor sich das Meer. Zwischen windgebeugten Kiefern sah sie ein graues Band, Schatten, die sich bewegten, vermutlich das aufgewühlte Meer.
Die Straße wurde an einer Bushaltestelle etwas breiter. Sie fuhr an die Seite und schaltete den Motor, aber nicht die Zündung aus, damit die Musik weiterlief. Der Countrypop hob ihre Laune. Sie hatte das Gefühl, sämtliche positive Energie zu benötigen, die sich auftreiben ließ.
Levin lehnte sich zurück und streckte die Hand nach einer Mappe auf dem Rücksitz aus. Sie war blau und recht dünn. Auf den Deckel hatte sie mit dicken schwarzen Druckbuchstaben den Namen Thord Seger geschrieben. Es würde eine kurze Vernehmung werden, da es sich nur um ein paar Zusatzinformationen handelte. Es lagen natürlich einige Berichte der Sozialbehörde vor, aber die waren neueren Datums. Es gab erstaunlich wenig Material über den Hintergrund des Ermordeten. Wer war dieser Johan Seger eigentlich gewesen, ehe er Styrbjörn Midvinter wurde? Wie war er als junger Mann und als Kind gewesen? Was hatte Johan Seger dazu bewogen, seinen Namen und sein Leben zu ändern?
Pia Levin blätterte rasch die Papiere durch, die sie von der Ermittlergruppe erhalten hatte und rief sich noch einmal ins Gedächtnis, welche Angaben sie kontrollieren und welche Fragen sie stellen musste. Einer ihrer Kollegen hatte sich bereits mit Styrbjörn Midvinters Vater in Verbindung gesetzt, ihn bei dieser Gelegenheit aber nur davon unterrichtet, dass sein Sohn verstorben sei. Es gab keine Angaben darüber, wie der Vater reagiert oder was er gesagt hatte. Die Ermittlergruppe hatte ungewöhnlicherweise einen Kriminalbeamten vor Ort gebeten, die Trauernachricht zu überbringen, aber offenbar vergessen, diesen darum zu bitten, Fragen zu stellen und die Reaktion des Vaters zu beobachten. Darüber gab die Mappe keine Auskunft.
Vielleicht hat er ja überhaupt nicht reagiert, vielleicht ist es ihm gleichgültig, dass sein Sohn, der Neonazi, nicht mehr auf Mutter Erde herumläuft, dachte sie, ließ den Motor wieder an und fuhr weiter aufs Meer zu.
Sie erreichte ein niedriges, traditionell rotgestrichenes Holzhaus mit weißen Ecken und Ziegeldach. Es duckte sich mit dem Meer zugewandter Schmalseite vor dem Wind. Auf dem schmalen Pfad, der zum Haus führte, lag kein Schnee; der Wind hatte ihn an die Mauer geweht, die das Grundstück umgab. Es handelte sich um eine alte, solide Mauer aus flachen Natursteinen in verschiedenen Größen, die so geschickt zusammengefugt worden waren, dass kaum Spalten zu sehen waren. Vor dem Haus stand eine einsame, einige Meter hohe Kiefer, die nur auf einer Seite Äste hatte. Sie
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