Eiskalte Verfuehrung
Augen zugemacht, aber er hatte Angst, dass er dann womöglich nicht mehr in der Lage wäre, wieder in die Gänge zu kommen.
Er rechnete mit Lollys Protest, entweder weil sie sich vor ihm ausziehen sollte oder auch weil er sich vor ihr entblößte, doch es kam keiner. Er versuchte, sie am Leben zu halten und auch selbst am Leben zu bleiben, und sie war entweder praktisch denkend genug, andere Sorgen beiseitezuschieben, oder sie hatte begriffen, wie ernst ihre Lage war. Allerdings war sie auch Frau genug, um einen kurzen, sorgenvollen Blick auf seine Genitalien zu werfen.
»Keine Sorge«, versicherte er ihr knurrend, »der hat sich so weit nach oben verzogen, dass ich ihn selbst mit beiden Händen und einer Taschenlampe nicht finden könnte.«
»Dann kann ich nur hoffen, dass du in nächster Zeit nicht pinkeln musst«, erwiderte sie, und wenn ihm nicht so kalt gewesen wäre, hätte er darüber gelacht. Doch unter den Umständen bekam er nicht einmal ein Lächeln zustande.
Bevor sie in die Dusche stiegen, prüfte er ihre Finger, beugte sich hinunter, um ihre Zehen zu inspizieren. Sie waren blau vor Kälte, ließen aber nichts Weißes sehen, keine Anzeichen von Erfrierungen also. Dann zog er Lolly vom WC-Sitz hoch, umfasste ihre Taille und hievte sie in die Dusche.
Lolly stöhnte auf, als das warme Wasser an ihr herunterlief. Er wusste nicht zu sagen, ob dieses Wimmern Weh oder Wonne bedeutete; eiskalt, wie ihr war, bestanden beide Möglichkeiten.
Zum Glück war der Duschkopf weit oben an der Wand angebracht, sodass er sich komplett darunterstellen konnte. Er ließ sich das Wasser auf den Kopf prasseln, sodass das Eis schmolz, das sein Haar verkrustete. Es fühlte sich an, als ob Schrotkugeln auf seine kalte Haut peitschten, es war angenehm und schmerzhaft zugleich, und so stöhnte er ebenfalls auf.
»Du beanspruchst das ganze Wasser für dich«, beschwerte sich Lolly.
Er löste das Problem, indem er seine Arme um sie legte und sie an sich zog, damit die warme Dusche auf sie beide niederging. Mit einem kleinen Seufzer legte ihm Lolly die Arme um die Hüfte, schmiegte ihren Kopf an seine Brust und machte wieder die Augen zu.
Nun, da sie beide tatsächlich unter der Dusche standen, war es eine verdammt gute Idee, die Augen zu schließen, und so legte er sein Kinn auf ihrem Kopf ab und ließ die Lider sinken.
»Mein Gott, wie gut sich das anfühlt!«, flüsterte sie.
Er wusste nicht recht, ob sie das heiße Wasser oder ihn meinte, und fragen wollte er sie absolut nicht, das war klar. Er spürte, wie die Kälte aus seinem Körper wich, wie sie mit dem Wasserstrahl abfloss. Er spürte, wie sein Kopf warm wurde, spürte, wie der Schmerz nachließ.
Ein kleiner Teil seines Gehirns blieb in Alarmbereitschaft, lauschte, ob jenseits des prasselnden Wassers etwas zu vernehmen war. Er hatte ja nicht den Abhang hinuntersteigen können, um sich zu überzeugen, dass Niki wirklich tot war, und solange diese Ungewissheit bestand, konnte er nicht völlig entspannen. Er und Lolly befanden sich hier unter der Dusche in einer angreifbaren Position, aber sie mussten sich aufwärmen, und wenn er die beiden Faktoren gegeneinander abwog, hatte das Aufwärmen Priorität vor allem anderen. Ihm war so kalt gewesen, dass er kaum noch einsatzfähig gewesen war, dass er fast weder Lolly noch sich selbst mehr hatte helfen können; und wenn Niki wieder auf sie losgegangen wäre, dann wäre er wohl kaum zu einer Reaktion in der Lage gewesen.
Zwei Aspekte sprachen zu ihren Gunsten. Erstens: Wenn Niki den Unfall überlebt hatte, dann konnte er sich nicht vorstellen, dass sie keine Verletzungen davongetragen hatte, ja, vermutlich wäre sie zu schwer verletzt, um sich überhaupt fortbewegen zu können. Zweitens: Falls sie aufgrund eines perversen Wunders doch in der Lage war, sich fortzubewegen, dann musste sie so frieren wie er und Lolly – außer sie nahm so lange schon Meth, dass sie die Kälte nicht spürte und sich somit auch nicht angemessen vor ihr schützte, was bei dem Wetter doppelt gefährlich war.
Sobald er sich erholt hatte und trocken war, würde er sich warm einpacken und wieder nach draußen gehen, um die Unfallstelle zu inspizieren. Aus einem anderen Blickwinkel könnte er vielleicht sehen, ob Niki noch in dem demolierten Blazer feststeckte. Bis dahin konnte er nichts weiter tun, als ein Problem nach dem anderen anzugehen und auf seltsame Geräusche zu achten.
Dann, als er etwas auftaute, stellte sich ihm plötzlich eine
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