EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
mit Honig.“
„Was hast du getrunken?“
„Kaffee mit Milch, ohne Zucker.“
„Anna, kannst du mir sagen, wie spät es ist?“
Sie schaute auf ihre Armbanduhr. „Es ist elf Uhr.“
„Und welchen Tag haben wir heute?“
„Freitag, den 20. Oktober 2006.“
„Sehr gut. Wann hast du deinen Mann Max zum ersten Mal getroffen?“
Annas Gesichtszüge entspannten sich mit einem Mal. „Im Convento di Carmo.“
Ich werde dir diesen Kerl schon austreiben!
Bobby! Sei still!
„Und wann war das?“
„Bitte?“
„Wann war das?“
„Damals war ich vierzehn Jahre.“
Kreiler spürte den stechenden Schmerz der Eifersucht in seiner Brust. „Und deine Ehe mit Max?“
„Ja, was soll ich da sagen? Wir sind seit sechs Jahren verheiratet, und ich kriege noch immer Herzklopfen, wenn ich seine Stimme am Telefon höre.“
Soll ich ihn für dich umbringen?, wollte Bobby wissen.
Reiß dich zusammen. O Gott!, dachte Kreiler.
Du entwickelst dich zum Jammerlappen, Jörg.
„Lehn dich zurück, Anna. Entspann dich und konzentriere dich auf meine Stimme. Also, ich möchte, dass du jetzt tief einatmest und dann die Luft herauslässt. Und wenn du dann wieder einatmest, dann möchte ich, dass du dir Folgendes vorstellst. Die Luft wirbelt rund um deine Lunge, und dann strömt sie davon, und wenn sich die Lunge erneut mit Luft füllt, dann möchte ich, dass du dir vorstellst, dass all die Spannungen, die in dir sind, herausgezogen werden. Sie sind wie Rauch, der in dir herumwirbelt, und du bläst ihn raus wie einen tiefen Seufzer. Und all deine Ängste und Sorgen entweichen in einer dichten Wolke aus schwarzem Rauch. Siehst du, wie der Rauch langsam von dir wegschwebt? Spürst du die sanfte Meeresbrise, die dich umgibt?“
Wenig später hatte er sie in leichte Trance versetzt. Sie lag entspannt auf dem Rücken, mit schlaffen Gliedmaßen, geschlossenen Augen und ausdrucksloser Miene.
„Welches Datum haben wir heute?“
„Dienstag, den 11. Oktober 2005.“
„Bist du dir sicher? Siehst du, wie der Wind mit dem Kalenderblatt spielt? Dein Finger gleitet über den Kalender, die Zeit bewegt sich rückwärts, weiter und weiter. Während der Wind die Zeit rückwärtslaufen lässt, gehen auch wir, was das Datum betrifft, rückwärts. Wir gehen immer weiter zurück. Was für ein Tag ist jetzt?“
„Montag, der 8. Oktober 2001 …“
„Wir gehen weiter zurück, weiter, immer weiter. Du bist auf einem weichen Pfad neben einem kühlen Bach und bleibst ein Weilchen stehen, um dem Wasser zu lauschen. Du fühlst dich frei und entspannst dich. Du gehst weiter, ganz langsam. Du siehst ein Blatt, das wie ein Schiffchen auf dem Wasser treibt, und verfolgst mit den Augen, wie es mit der Strömung segelt. Das Blatt begleitet dich. Bei jedem Schritt lässt du mehr los, und bei jedem Schritt, den du den Pfad entlanggehst, fühlst du dich wohl und sicher, du bist ruhig und gelassen, in Geist, Körper und Seele.“
Anna runzelte die Stirn, als Kreiler sie von dem Bach wegführte, und verzog leicht das Gesicht.
„Du kommst zu einer zartgrünen Sommerwiese mit Blumen, du riechst den Duft der Blumen, es ist warm, die Sonne scheint, der Himmel ist blau, du spürst eine leichte Brise auf den Wangen und gehst auf einen Wald zu und siehst einen Weg, der durch den Wald führt.“
Ihre Brust hob und senkte sich. „Und wieder läuft die Zeit zurück, weiter und weiter in die Vergangenheit. Immer weiter … weiter. Welches Datum haben wir heute?“
„Freitag, den 27. Oktober 1995. Heute wurde Katharina beerdigt. Sie hat mich im Stich gelassen.“ Anna begann zu weinen. „Sie wurde ermordet.“
„Bist du sicher?“, fragte er.
Plötzlich stand sie auf dem Friedhof, wo sie Katharina am späten Nachmittag begruben. Die Trauernden am Sarg und der Priester warfen in der winterlich anmutenden Sonne lange Schatten. Wenn der Wind sich zwischendurch beruhigt hatte, hörte man unten auf der Straße gelegentlich einen Wagen vorbeifahren. Es war schnell vorüber. Nachdem der Priester den Sarg und die Trauergäste gesegnet hatte, defilierten die Leute aus dem Dorf vorbei; einige legten Blumen auf den Sarg. Severin, Katharinas Jugendliebe, der schon seit fast drei Jahren in Boston lebte, machte einen verstörten Eindruck. Er blieb am Grab stehen, bis der Letzte gegangen war. Anna wusste, wie ihm zumute war. Sie sah, wie er die Augen zu Boden schlug, und später, als alle fortgegangen waren, sah sie ihn weinen.
Dann bemerkte sie einen Schatten, der
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