EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
Alles ist irgendwie programmierbar in Ihrem Metier, besonders der Mensch. Wir sehen uns“, sagte er und warf beim Hinausgehen Kreilers Mitarbeiterin eine flüchtige Grußhand hin, bevor er sich zu Veronika Granel aufmachte.
Als er über den Flur zum Treppenhaus lief, wurde er das Gefühl nicht los, Anna soeben verraten zu haben. Das Gespräch hatte einen faden Beigeschmack hinterlassen. Im Treppenhaus blieb er vor dem Fahrstuhl stehen. Warum traute er Kreiler nicht über den Weg? Weil der Psychiater ihn an eine zischend säuselnde Schlange erinnerte, die ihre Opfer mit rotierenden Pupillen hypnotisierte und sich anschließend einverleibte? Und dann dieses Licht. Ein sinnliches Rot, ein beruhigendes Blau, ein stärkendes Orange. Die mystische Kraft der sprudelnden Farben übertrug sich auf den Betrachter. Eine Schlange greift nur an, wenn sie in Gefahr ist, dachte er.
Mit einem dumpfen Brummen öffnete sich die Fahrstuhltür. Sein Gefühl täuschte ihn eigentlich nie. Auch Kreiler hatte sich während ihres Gesprächs unwohl gefühlt.
Ihm fiel der Kinofilm mit Antonio Banderas ein, den er sich neulich mit Mathi angesehen hatte: Als Orpheus seine Frau aus der Unterwelt zurückbrachte, aus der Hölle, sagte man ihm, er dürfe nicht zu ihr zurückblicken, ganz gleich, was geschehe, doch schließlich konnte er dem Klang der Stimme nicht widerstehen, die seinen Namen rief, so wandte er sich um und verlor sie für immer.
Weg hier!, dachte er, betrat den Fahrstuhl und drückte energisch den Knopf für das Erdgeschoss, wo sich die Pathologie befand.
Kapitel 15
München
Das Sprechzimmer war dem Wartezimmer und dem Sekretariat sehr ähnlich, nur mit indirekter Beleuchtung und schweren Vorhängen vor den Fenstern. Neutrale Farben dominierten. Die Wände waren in einem satten Cremeton gehalten, die Möbel bezogen mit beigefarbenem Leinen. An den Wänden hingen zarte Landschaftsaquarelle und eine eingerahmte Promotionsurkunde sowie einige internationale Auszeichnungen – und die speziell angefertigte Lichtinsel mit ihren funkelnden Farben.
Durch die Sprechanlage erklang die Stimme seiner Assistentin: „Professor Kreiler, die Station hat angerufen. Anna Gavaldo ist auf dem Weg nach oben. Sie haben noch ein bisschen Zeit.“
„Danke, Biggi.“
Er überlegte, wie Anna wohl nach der heutigen Sitzung auf ihn reagieren würde. Er musste es schaffen. Notfalls würde er Bobby, sein zweites Ich, zurate ziehen. Gedankenverloren schaute er aus dem Fenster seines Sprechzimmers.
Plötzlich hörte er ein zartes Klopfen an der Tür und gewahrte einen Hauch ihres Parfüms. „Du darfst ruhig reinkommen, Anna.“
„Hallo, Jörg.“
Er drehte sich um. Ihr Anblick überwältigte ihn. Sie wirkte so zart, so verletzlich.
„Du siehst toll aus“, sagte er, als sie die Tür hinter sich schloss. „Braungebrannt und kerngesund.“
Er tat, als begegnete er Anna heute zum ersten Mal nach dem Urlaub, und erwähnte mit keinem Wort den gestrigen Vorfall.
„Was man von dir nicht gerade behaupten kann. Du solltest mehr vor die Tür gehen. Du bist bleich wie ein Gespenst“, sagte sie.
Sie sieht toll aus, dachte er. Wie Katharina damals nach unserem ersten gemeinsamen Urlaub.
„Du scheinst dich über irgendetwas zu wundern“, bemerkte er.
Anna sah sich um. „Nein, es ist nur … ich dachte, es wäre …“
„Ja …?“
„Kälter.“
Er runzelte die Stirn. „Kälter?“
„Ja, ich dachte das Sprechzimmer in einer Klinik wäre kälter.“
„Oh, ich verstehe. Das Zimmer. Du bist ja heute das erste Mal hier.“
„Es ist viel gemütlicher, als ich es mir vorgestellt hatte.“
Kreiler lächelte. „Danke. Es erfüllt seinen Zweck.“
Sie schaute auf das schwarz-weiß getupfte Stofftier. Der Teddybär lehnte an der Schreibtischlampe und musterte sie mit seinen dunklen Augen.
„Hat er einen Namen?“
Kreiler zuckte mit den Schultern. „Ich nenne ihn Bobby. Er steht mir zur Seite, wenn ich meine kleinen Patienten therapiere. Kinder fühlen sich wohler, wenn sie ein Kuscheltier in ihrer Nähe wissen. Sie glauben, es könne sie beschützen, wenn es brenzlig wird.“
Anna nickte. „Du benutzt ein Stofftier, um ihr Vertrauen zu gewinnen? Finde ich gut. Interessant. Darf ich mich setzen?“
Sie ist nervös. „Nur zu.“
Anna setzte sich und schlug ihre Beine übereinander. „Ich habe mich doch nicht auf deinen Platz ge–“
Doch! Hast du. In Kreilers Kopf gab die Stimme seines Freundes Bobby Murmellaute von sich. Sei still,
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