EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
ihn wie blutrote Rückleuchten anstarren würden.
***
Zwei Tage später, auf der A9 Richtung München, begannen sich die Rücklichter plötzlich in blutrote Froschaugen zu verwandeln, und er krallte seine Finger ins Lenkrad, bis seine Fingerknöchel weiß wurden. Er riss die Augen weit auf und beschwor das Gesicht seines letzten Opfers herauf, Michail Heptna.
Als Heptna nach ihm gegriffen hatte, wollte er ihn nicht angreifen oder sich verteidigen. Nein, er wollte sich nur an ihm festhalten.
Der Pole war nicht zurückgewichen, sondern näher herangetreten und hatte ihn umarmt. Und während Michail Heptna sein Leben aushauchte, hatte er eine seltsame Ruhe und ein Gefühl des Einsseins mit sich selbst empfunden.
Kapitel 24
Wiesbaden
Robert Hirschau blinzelte müde in die dunkle Wolkenwand des Wiesbadener Nachthimmels. Regen prasselte unerbittlich gegen die Scheibe und brachte seine Gedanken zurück zum soeben geführten Gespräch mit seinem Vorgesetzten.
In der vergangenen Nacht hatte er nur wenige Stunden geschlafen. Trotzdem hatte er heute schon wieder um sieben Uhr am Schreibtisch gesessen und Akten studiert, um einen zusammenfassenden Bericht über eine Organisation zu erstellen, die in Frankfurt Geldwäsche im großen Stil betrieb.
Doch er war urplötzlich abberufen worden, wegen dieser irrsinnigen Morde in Essen, Florenz und Istanbul, die offensichtlich miteinander zusammenhingen. Bei den Opfern waren Papierschnipsel mit der vollständigen Nummer eines Kriegsgerichtsverfahrens aus dem Jahr 1944 gefunden worden. Es war das Aktenzeichen eines Prozesses, in dem ein junger Soldat zum Tode verurteilt worden war. Die Akte über jenen Maryam Krasinski, die er von seinem Vorgesetzten erhalten hatte, lag vor ihm auf dem Tisch.
Die Lebensgeschichten der Mordopfer Sedar Biljano, Mirko Selicz und Antonin Zagár wiesen eine Gemeinsamkeit auf: die Mitgliedschaft in der Malinka, einer polnischen Widerstandsgruppe im Zweiten Weltkrieg. Aber hatten sie auch Maryam Krasinski gekannt? Wahrscheinlich. Aber Krasinski war lange tot.
Hirschau nahm sich noch mal die Akte zur Hand und las sie.
Aachen 1944
Reichskriegsgericht
StPL 1. Sen. 3625/42 – RKA I 125144
Im Namen
Des Deutschen Volkes!
Standurteil
In der Strafsache gegen
den Grenadier Maryam K r a s i n s k í, Ausbildungs-Kompanie, Grenadier — Ersatz- und Ausbildungs-Bataillon 57, Ismaning/Bayern,
geboren am 7. Juni 1926 in Warschau
wegen Fahnenflucht und anderem,
hat das am 13. Oktober 1944 in Aachen zusammengetretene Feld-Kriegsgericht,
an dem teilgenommen haben
als Richter:
Kriegsgerichtsrat Kollmann, Verhandlungsleiter,
Hauptmann Kemper, Grenadier-Ersatz-Bataillon 112, Aachen,
Gefreiter Wilhelms, Grenadier-Kompanie, Aachen;
als Vertreter der Anklage:
Ober-Kriegsgerichtsrat Dr. Specke,
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle:
Gefreiter Nüsker
für Recht erkannt:
Der Angeklagte wird wegen Fahnenflucht und wegen Kriegsverrats in Tateinheit mit erschwerend hinzukommender Vorbereitung des Hochverrats zum Tode, zum Verlust der Ehrenrechte und zum Verlust der Wehrwürdigkeit verurteilt.
Von Rechts wegen.
Gründe:
I.
Der erst 17 Jahre alte Angeklagte hat einen Beruf nicht erlernt. Er ist im Februar 1943 wegen Arbeitsverweigerung, vollendeter Einbruchdiebstähle und eines versuchten Einbruchdiebstahls zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt worden. Am 23. Mai 1944 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Er wurde durch Strafverfügung mit sechs Wochen geschärftem Arrest wegen unerlaubter Entfernung vom 27. Juni bis zum 13. Juli 1944 bestraft. Vom 2. bis 4. Juli 1944 hatte er sich in der Stadt Grodek herumgetrieben.
Dort lernte er den polnischen Kaplan Admarev kennen, der ihn überredete, nicht mehr zur Truppe zurückzukehren; er sei überhaupt nicht wehrpflichtig, da er nicht in die deutsche Volksliste eingetragen sei; zum Wehrdienst sei er den Deutschen gut genug, aber wenn er verwundet oder sonst dienstuntauglich werde, dann gelte er als Pole, und niemand werde sich um ihn kümmern. Er forderte den Angeklagten auf, zu ihm zu kommen; er werde ihn zunächst verstecken und später an die polnischen Partisanen vermitteln, die sich im ehemaligen Grenzgebiet aufhielten. Der Angeklagte desertierte am 4. September 1944, kam zur Malinka-Bewegung und blieb dort etwa zwei Wochen, während sich nichts Besonderes ereignete, da diese Gruppe genügend mit Lebensmitteln versehen war und keine Raubzüge zu unternehmen brauchte. Am 10. September 1944 erfolgte ein
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